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Im Schatten der Gerechtigkeit

Im Schatten der Gerechtigkeit

Titel: Im Schatten der Gerechtigkeit
Autoren: Anne Perry
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zu, wie ihre langen Finger über die Porzellanfigurine strichen.
    »Ihr Wissen sollte ihr seine Unterstützung bei der Aufnahme an einer medizinischen Fakultät sichern.«
    »Das ist doch absurd«, sagte sie, sah ihn jedoch immer noch nicht an. »Keine Universität würde eine Frau nehmen. Er muß ihr das gesagt haben.«
    »Das kann ich mir vorstellen, aber erst nachdem er sich ihrer Fertigkeiten bedient und sie ausgenutzt hatte, indem er sie zahllose unbezahlte Stunden arbeiten ließ. Nachdem er ihr Hoffnung gemacht und sich mit ihrer engagierten Arbeit einen Ruf geschaffen hatte! Dann, als sie ungeduldig wurde und eine Zusage verlangte, hat er sie ermordet.«
    Sie setzte die Figur ab und wandte sich ihm zu. Sie hatte wieder den belustigten Ausdruck in ihren Augen. »Er brauchte ihr doch nur zu sagen, daß es aussichtslos war«, antwortete sie.
    »Warum um alles in der Welt sollte er sie ermorden? Sie machen sich lächerlich, Mr. Monk.«
    »Weil sie damit drohte, der Krankenhausleitung zu sagen, daß er Abtreibungen vornahm – gegen Entgelt«, antwortete er.
    »Unnötige Abtreibungen, um diversen reichen Frauen die Verlegenheit ungewollter Kinder zu ersparen.«
    Er sah das Blut aus ihren Wangen weichen, ihr Ausdruck jedoch änderte sich nicht. »Wenn Sie das beweisen wollen, was machen Sie dann hier bei mir, Mr. Monk? Das ist ein ernsthafter Vorwurf – für den man ihn ins Gefängnis stecken würde. Aber ohne Beweis sind Ihre Worte nichts weiter als Verleumdungen.«
    »Sie wissen, daß es wahr ist, weil Sie ihm die Patientinnen verschaffen.«
    »Tue ich das?« Sie machte große Augen und hatte ein starres Lächeln auf den Lippen. »Auch das ist eine üble Nachrede, Mr. Monk.«
    »Sie wissen, daß er Abtreibungen vornahm, und Sie können das bezeugen«, sagte er völlig ruhig. »Ihr Wort wäre keine üble Nachrede, weil Sie alle Fakten haben: Tage, Namen, Einzelheiten.«
    »Selbst wenn ich derlei Kenntnisse hätte«, sie starrte ihn ohne mit der Wimper zu zucken an, ihr Blick bohrte sich in den seinen, »würden Sie sicher nicht erwarten, daß ich mich selbst belaste, indem ich das zugebe, oder? Warum, um alles in der Welt, sollte ich das tun?«
    Jetzt lächelte auch er, oder besser gesagt, er zeigte langsam die Zähne. »Weil ich, wenn Sie es nicht tun, verlauten lasse, und zwar gegenüber den richtigen Leuten, daß Sie seine erste Patientin waren.«
    Ihr Gesicht veränderte sich nicht. Sie hatte keine Angst.
    »Als Sie von den westindischen Inseln zurückkamen«, fuhr er gnadenlos fort. »Und daß Ihr Kind schwarz war.«
    Jetzt verlor ihre Haut alle Farbe, und er hörte, wie sie nach Luft rang.
    »Ist das auch üble Nachrede, Lady Ross Gilbert?« fragte er mit verhaltenem Zorn. »Dann bringen Sie mich vor Gericht, verklagen Sie mich! Ich kenne die Schwester, die das Kind in den Kehricht geworfen hat. Sollten Sie aber gegen Sir Herbert aussagen«, fuhr er fort, »daß Sie ihm verzweifelte Frauen zugeführt haben, deren Namen Sie nennen könnten, würde Sie Ihre Diskretion nicht daran hindern, dann werde ich vergessen, daß ich je etwas darüber wußte – und Sie werden weder von mir noch von der Schwester jemals wieder hören.«
    »Werde ich nicht?« sagte sie, in ihrem Mißtrauen ebenso verzweifelt wie boshaft. »Und was sollte Sie davon abhalten, immer wieder zu kommen – wegen Geld, oder was immer Sie wollen?«
    »Gnädigste«, sagte er eisig, »abgesehen von Ihrer Aussage haben Sie nichts, was mich interessieren könnte.«
    Sie holte aus und schlug so kräftig zu, daß er fast das Gleichgewicht verlor. Aber er lächelte nur. »Tut mir leid, wenn Sie das enttäuscht«, sagte er leise. »Finden Sie sich morgen im Gericht ein. Mr. Rathbone wird Sie aufrufen – für die Verteidigung, versteht sich. Wie Sie Ihr Wissen vortragen, liegt ganz bei Ihnen.« Und mit einer leichten Verneigung ging er an ihr vorbei zur Tür und durch den Flur hinaus auf die Straße.
    Der Prozeß war so gut wie vorbei. Die Geschworenen langweilten sich. Sie waren längst zu einem Urteil gekommen und verstanden nicht, warum Rathbone immer weitere Zeugen aufrief, die ohnehin nur aussagten, was längst jeder glaubte. Sir Herbert war ein Musterbild ärztlicher Tugend und, was sein Privatleben anbelangte, ein bis zur Langeweile korrekter Mann. Lovat-Smith machte aus seinem Unmut kein Hehl. Das Publikum war unruhig. Zum erstenmal seit Beginn des Prozesses gab es leere Sitze auf der Galerie.
    Richter Hardie beugte sich vor, das Gesicht
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