Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Im Schatten der Gerechtigkeit

Im Schatten der Gerechtigkeit

Titel: Im Schatten der Gerechtigkeit
Autoren: Anne Perry
Vom Netzwerk:
spät!«
    »Sie…« Callandra wollte ihren Ohren nicht trauen. »Sie kennen so eine Frau?«
    Philornena mißverstand ihre Erregung. Sie errötete zutiefst.
    »Ich… ich habe sieben Kinder. Ich…«
    Callandra packte ihre Hand und drückte sie. »Das verstehe ich doch«, sagte sie rasch.
    »Nicht, daß ich dort gewesen wäre!« Philomena riß die Augen auf. »Sie wollte mich nicht weiterverweisen. Sie… sie selbst hat mir…« Sie stockte, dann versagte ihr die Stimme.
    »Aber sie wußte, wo er zu finden war?« drängte Callandra. Sie spürte die bittere Ironie ihrer Worte.
    »Ja.« Philomena seufzte wieder. »Gott, vergib mir, ich hätte ihr helfen können. Warum hat sie mir nicht vertraut? Ich liebe sie doch! Ich habe sie nicht verurteilt – was habe ich nur versäumt, daß sie…« Wieder füllten sich ihre Augen mit Tränen; verzweifelt sah sie Callandra an, als könnte sie diesen grauenhaften Schmerz lindern, der sie zu überwältigen drohte.
    Callandra sagte das einzige, was ihr in den Sinn kommen wollte. »Vielleicht schämte sie sich, weil es Arthur war. Und Sie wissen ja auch nicht, was er zu ihr gesagt hat. Vielleicht glaubte sie ihn vor irgend jemand in Schutz nehmen zu müssen, selbst vor Ihnen – oder vielleicht gerade vor Ihnen, um Ihnen diesen Kummer zu ersparen. Eines weiß ich gewiß: Sie würde nicht wollen, daß Sie jetzt die Last der Schuld dafür tragen. Hat sie Ihnen je einen Vorwurf gemacht?«
    »Nein.«
    »Dann dürfen Sie sicher sein, daß sie Sie nicht verantwortlich macht.«
    Philomenas Gesicht füllte sich mit Abscheu vor sich selbst.
    »Ob sie das nun tut oder nicht, ich trage die Schuld. Ich bin ihre Mutter. Ich hätte das von vornherein verhindern müssen.«
    »Zu wem wären Sie denn gegangen?« Sie versuchte, es beiläufig klingen zu lassen, fast unwichtig, aber während sie auf die Antwort wartete, wurde ihr Atem ganz rauh.
    »Berenice Ross Gilbert«, antwortete Philomena. »Sie weiß, wie man zu einer gefahrlosen Abtreibung kommt. Sie weiß von einem Arzt, der das übernimmt.«
    »Berenice Ross Gilbert. Ich verstehe.« Sie versuchte ihr Erstaunen zu verbergen, und fast wäre es ihr gelungen; nur der letzte Zipfel ihrer Worte sprang nach oben und geriet fast zu einem Piepsen.
    »Das spielt jetzt alles keine Rolle mehr«, sagte Philomena rasch. »Es ist vorbei. Victoria ist ruiniert – und das weit schlimmer, als hätte sie das Kind gehabt!«
    »Vielleicht.« Callandra konnte das kaum bestreiten. »Aber Sie müssen Arthur auf eine Universität oder Kadettenschule schicken, irgendwohin, um ihn vom Haus fernzuhalten. Sie müssen Ihre Töchter schützen. Und Sie vergewissern sich besser sofort, ob nicht eine von ihnen… nun ja, und falls dem so ist, werde ich einen Arzt finden, der die Operation sofort und ohne Entgelt durchführt.«
    Philomena starrte sie an. Es war alles gesagt. Sie war wie betäubt, todunglücklich und schwach vor Schmerz und Ratlosigkeit.
    Es klopfte, und die Tür öffnete sich. Das Hausmädchen steckte den Kopf herein, die Augen groß und verschreckt.
    »Bringen Sie den Kräutertee«, befahl Callandra. »Stellen Sie ihn her, und lassen Sie Lady Stanhope eine Weile allein. Und lassen Sie keine Besucher zu ihr.«
    »Ja, Madam. Nein, Madam.« Sie gehorchte und zog sich zurück.
    Callandra blieb noch eine halbe Stunde bei Philomena, bis sie sicher sein konnte, daß sie sich wieder soweit gefaßt hatte, um sich ihrer schrecklichen Aufgabe stellen zu können. Dann entschuldigte sie sich und ging hinaus in die warme Dämmerung, wo sie ihre Kutsche erwartete. Sie gab dem Kutscher Anweisungen, sie in die Fitzroy Street, zu Monks Wohnung, zu fahren.
    Wie Monk, machte sich auch Hester auf der Stelle auf die Suche nach dem Bindeglied zwischen Sir Herbert und seinen Patientinnen. Sie tat sich freilich weitaus leichter. Sie wußte aus Prudence’ Aufzeichnungen, welche Schwestern dem Arzt assistiert hatten.
    Eine traf sie beim Bandagenrollen an, eine zweite beim Aufwischen, eine dritte bereitete eben Breipackungen vor. Die vierte fand sie mit zwei schweren Fäkalieneimern.
    »Lassen Sie mich Ihnen helfen«, erbot sie sich.
    »Wieso?« fragte die Frau argwöhnisch. Es war nicht eben eine Arbeit, die man freiwillig übernahm.
    »Weil ich lieber gleich einen trage, als hinter Ihnen herzuwischen, wenn Sie was verschütten«, sagte Hester schnell.
    Die Frau war nicht so dumm, sich um eine unangenehme Arbeit zu streiten. Ohne weiter zu zögern, reichte sie ihr den schwereren der
Vom Netzwerk:

Weitere Kostenlose Bücher