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Im Schatten der Gerechtigkeit

Im Schatten der Gerechtigkeit

Titel: Im Schatten der Gerechtigkeit
Autoren: Anne Perry
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    Als sie hereinkam, dachte Monk zunächst an einen weiteren Fall von häuslichem Bagatelldiebstahl, vielleicht auch Nachforschungen über Charakter und Aussichten eines potentiellen Bräutigams. Nicht, daß er derlei Aufträge abgelehnt hätte; das konnte er sich nicht leisten. Zwar sorgte Lady Callandra Daviot, seine Gönnerin, hinlänglich für Kost und Logis, aber Stolz und Ehre geboten es ihm, keine Möglichkeit auszulassen, sich seinen Lebensunterhalt selbst zu verdienen.
    Seine jüngste Klientin war gut gekleidet, ihre Haube hübsch und adrett. Die weite Krinoline war sehr feminin, da sie neben der Taille die Schmalheit der Schultern betonte, was sie, obwohl sie bereits an der Schwelle der Dreißig stand, jung und zart wirken ließ. Natürlich neigte die augenblickliche Mode dazu, grundsätzlich zu schmeicheln, aber die Illusion war nichtsdestoweniger überwältigend; und so sehr sich das Gros der Männer ihrer auch bewußt sein mochte, sie sorgte neben dem Wunsch, den Beschützer zu spielen, auch für eine gewisse Galanterie.
    »Mr. Monk?« erkundigte sie sich zögernd. Er war die Nervosität der Leute, die sich an ihn wandten, gewöhnt. Einen privaten Ermittler einzuschalten fiel den meisten nicht leicht. Waren doch fast alle Angelegenheiten, die einen solchen Schritt ratsam erscheinen ließen, ausgesprochen privater Natur.
    Monk erhob sich und versuchte freundlich zu wirken, ohne gleich in plumpe Vertraulichkeit zu verfallen. Das war nicht so einfach, gaben sich doch weder seine Züge noch seine Persönlichkeit dafür her.
    »Der bin ich, Madam. Bitte, setzen Sie sich doch.« Er wies auf einen der beiden Sessel, die er der Einrichtung auf Anraten von Hester Latterly hinzugefügt hatte, letztere zuweilen Freundin, zuweilen Antagonistin und immer wieder eine unentbehrliche Hilfe, ob ihm das nun gefiel oder nicht. Die Idee mit den Sesseln freilich, das mußte er zugeben, war gut.
    Die Hände krampfhaft an ihrem Schultertuch, setzte sie sich, steif, als hätte sie einen Besenstiel verschluckt, auf den äußersten Rand des Sessels. Die Besorgnis stand ihr in die straffen Züge geschrieben. Die engstehenden haselnußbraunen Augen wichen den seinen nicht einen Moment aus.
    »Wie darf ich Ihnen helfen?« Er setzte sich in den Sessel gegenüber, lehnte sich zurück und schlug der Bequemlichkeit halber die Beine über. Er war Polizist gewesen, bis eine heftige Meinungsverschiedenheit zu seiner Kündigung geführt hatte. Brillant, scharfzüngig und zuweilen rücksichtslos, hatte sich Monk weder daran gewöhnen können, etwas gegen die Befangenheit seiner Gegenüber zu tun, noch um deren Aufträge zu werben. Es war eine Kunst, die er nur mit Mühe erlernte, und auch das nur aus schierer Notwendigkeit.
    Sie biß sich auf die Lippe und tat einen tiefen Atemzug, bevor sie den Sprung wagte. »Ich bin Julia Penrose oder Mrs. Audley Penrose, wie ich korrekterweise sagen sollte. Mein Gatte und ich wohnen mit meiner jüngeren Schwester südlich der Euston Road …« Sie verstummte, als wollte sie sich seiner Kenntnis der Gegend versichern, da dies möglicherweise von Bedeutung war.
    »Eine ausgesprochen angenehme Gegend«, meinte er mit einem Nicken. Die Adresse ließ ein Haus von bescheidener Größe vermuten, einen Garten, was immer das hieß, und wenigstens zwei oder drei Domestiken. Kein Zweifel also: ein Diebstahl im Haus oder ein Freier für die Schwester, über den sie so ihre Zweifel hatte.
    Sie richtete den Blick auf ihre Hände, kleine, kräftige Hände in adretten Handschuhen. Einige Augenblicke lang rang sie nach Worten.
    Bis ihm der Geduldsfaden riß.
    »Wo drückt denn der Schuh, Mrs. Penrose? Solange Sie mir das nicht sagen, kann ich Ihnen auch nicht helfen.«
    »Ja, sicher, ich weiß«, sagte sie kaum hörbar. »Es fällt mir allerdings nicht leicht, Mr. Monk. Ich sehe, daß ich Ihnen die Zeit stehle und möchte mich entschuldigen…«
    »Ganz und gar nicht«, meinte er unwillig.
    Sie hob den Blick; sie war blaß, aber in ihren Augen blitzte es temperamentvoll auf. Es kostete sie eine gewaltige Anstrengung.
    »Meine Schwester ist… belästigt worden, Mr. Monk. Und ich möchte wissen, wer dafür verantwortlich war.«
    Also doch keine Bagatelle.
    »Tut mir leid«, sagte er und meinte es aufrichtig. Er brauchte erst gar nicht zu fragen, warum sie nicht zur Polizei gegangen war. Allein der Gedanke, mit so etwas an die Öffentlichkeit zu gehen, war den meisten Menschen ein Greuel. Das Verhalten der Gesellschaft
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