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Im Schatten der Gerechtigkeit

Im Schatten der Gerechtigkeit

Titel: Im Schatten der Gerechtigkeit
Autoren: Anne Perry
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plötzlich, eine Regung so selten und aufrichtig, daß sie sein Gesicht vor Charme aufleuchten ließ. Er mußte feststellen, daß ihm diese Julia Penrose besser gefiel, als er gedacht hätte – nicht bei einer so steifen und kalkulierbaren Erscheinung: der ebenso umfangreiche wie unpraktische Reifrock, der ihren Bewegungen eine gewisse Unbeholfenheit verlieh, die Haube, die er abscheulich fand, die weißen Handschuhe, die gesetzte Haltung. Es war ein vorschnelles Urteil gewesen, etwas, was er bei sich selbst noch mehr verachtete als bei anderen.
    »Ihre Adresse?« sagte er rasch.
    »Hastings Street vierzehn«, erwiderte sie.
    »Eine Frage noch. Darf ich, da Sie dieses Arrangement selbst treffen, davon ausgehen, daß Ihr Gatte davon nichts weiß?«
    Sie biß sich auf die Lippe, und die Farbe ihrer Wangen vertiefte sich. »Sie dürfen. Ich wäre Ihnen sehr verbunden, wenn Sie so diskret wie möglich vorgingen.«
    »Wie soll ich meine Anwesenheit erklären, falls er fragen sollte?«
    »Oh.« Einen Augenblick war sie beunruhigt. »Wäre es Ihnen möglich zu kommen, wenn er nicht da ist? Werktags geht er von neun Uhr morgens an seinen Geschäften nach und kommt frühestens um halb fünf zurück. Er ist Architekt. Manchmal wird es auch viel später.«
    »Das mag schon sein, aber es wäre mir lieber, eine Geschichte zu haben, für den Fall, daß man uns ertappt. Wir sollten uns wenigstens einig sein, was die Erklärung anbelangt.«
    Sie schloß einen Augenblick die Augen. »Bei Ihnen hört sich das so… so falsch an, Mr. Monk. Es ist nicht so, daß ich Mr. Penrose belügen möchte. Es ist nur, daß die Angelegenheit so schmerzlich ist. Es wäre Marianne weitaus angenehmer, wenn er nichts davon wüßte. Immerhin muß sie weiterhin unter seinem Dach wohnen, verstehen Sie?« Plötzlich starrte sie ihn feindselig an. »Sie hatte bereits den Überfall zu ertragen. Die einzige Möglichkeit, ihre Fassung und ihren Frieden wiederzufinden, vielleicht sogar etwas Glück, besteht darin, das alles zu verarbeiten. Wie soll sie das, wenn ihr jedesmal, wenn sie sich zu Tisch setzt, klar wird, daß der Mann ihr gegenüber um ihre Schande weiß? Es wäre einfach unerträglich für sie!«
    »Aber Sie wissen es doch, Mrs. Penrose«, sagte er und wußte noch im selben Augenblick, daß das etwas ganz anderes war.
    Ein Lächeln spielte um ihren Mund. »Ich bin eine Frau, Mr. Monk. Muß ich Ihnen wirklich erklären, daß uns das auf eine Art und Weise verbindet, die Sie nie verstehen werden? Daß ich es weiß, wird Marianne nicht stören. Bei Audley wäre das etwas ganz anderes, so freundlich er auch sein mag. Er ist ein Mann, und nichts kann daran etwas ändern.«
    Worauf es nichts zu erwidern gab.
    »Was möchten Sie ihm denn nun sagen, um ihm meine Anwesenheit zu erklären?« fragte er.
    »Ich… ich weiß nicht.« Einen Augenblick lang war sie verwirrt, hatte ihre Fassung jedoch gleich wieder gefunden. Sie musterte ihn von Kopf bis Fuß: sein hageres, feinknochiges Gesicht mit den stechenden Augen und dem breiten Mund, seine elegante, teuer gekleidete Erscheinung. Er hatte noch immer die gute Kleidung, die er sich als alleinstehender Oberinspektor der Großlondoner Polizei hatte leisten können – vor seiner letzten und schlimmsten Auseinandersetzung mit Runcorn.
    Er registrierte die Musterung amüsiert und wartete.
    Augenscheinlich hieß sie gut, was sie sah. »Sie können sagen, wir hätten einen gemeinsamen Bekannten und daß Sie uns Ihre Aufwartung machen wollten«, antwortete sie entschieden.
    »Und der Bekannte?« Er hob seine Brauen. »Auf den sollten wir uns noch einigen.«
    »Mein Cousin Albert Finnister. Er ist klein und dick und wohnt in Halifax. Er besitzt dort eine Spinnerei. Mein Mann hat ihn nie kennengelernt, und die Wahrscheinlichkeit, daß es je dazu kommt, ist gering. Daß Sie Yorkshire womöglich nicht kennen, tut nichts zur Sache. Sie können ihn überall kennengelernt haben, außer in London. Audley würde sich dann fragen, warum er uns nicht besucht hat.«
    »Ich weiß durchaus das eine oder andere über Yorkshire«, antwortete Monk und verkniff sich ein Lächeln. »Halifax paßt mir sehr gut. Ich werde Sie also heute nachmittag besuchen, Mrs. Penrose.«
    »Ich danke Ihnen. Guten Tag, Mr. Monk.« Sie neigte kaum merklich den Kopf und wartete, während er ihr die Tür öffnete. Dann trat sie, kerzengerade und hoch erhobenen Hauptes, hinaus auf die Fitzroy Street und ging nach Norden auf den Platz zu, wo sie nach
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