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Das Pazifische Kartell: Kriminalroman (suhrkamp taschenbuch) (German Edition)

Das Pazifische Kartell: Kriminalroman (suhrkamp taschenbuch) (German Edition)

Titel: Das Pazifische Kartell: Kriminalroman (suhrkamp taschenbuch) (German Edition)
Autoren: Elmer Mendoza
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1
    In der dunkler werdenden Nacht ergab sich Mayra Cabral de Melo ihrem Schicksal, erkannte, dass der Mann, der die Wagentür öffnete und sie zum Aussteigen zwang, der letzte ihres Lebens sein würde; dass Gott trotz seiner großen Macht nichts würde ausrichten können; dass sie sich getäuscht hatte, sich vielleicht in allem getäuscht hatte. Sie stolperte. Wozu sind Männer gut? Die Stadt lag wie eine kalte Kulisse in ihrem Rücken. Zu allem und zu nichts. Der Mann, ein Verehrer seit zwei Monaten, dem sie in letzter Zeit versucht hatte aus dem Weg zu gehen, fasste sie an der Taille und trieb sie mit militärischer Ruppigkeit vorwärts. Mein Gott, nach all den besonderen Momenten. Sie erinnerte sich, was sie als Kind alles hatte werden wollen: Feuerwehrfrau, Polizistin, Krankenschwester, Ärztin, Fußballspielerin, Schauspielerin, Sängerin, Tänzerin. Die Beste des Viertels, die Beste des ganzen Landes. Die Königin. Aber sie hatte ihre Jugend verbrannt wie ein von Schlangen wimmelndes Schiff: Nacht für Nacht, wenn das Feuer sich am tiefsten frisst, wenn es am stärksten vergiftet. Wenn man alle Namen annimmt. In diesem Augenblick ergab nichts einen Sinn, waren der Traum und ihre Welt weit weg, hinter dieser Lagerhalle, inmitten von Gestrüpp, das nicht wehtat, im Minirock und trägerfreien Top, vorwärtsgestoßen von diesem großen Mann, mit dem sie Spaß gehabt und Gäste empfangen hatte; mit dem sie so oft geschlafen hatte, nur nicht in der vergangenen Woche, obwohl er sie nicht in Ruhe gelassen hat.
    Noch vor einigen Minuten, als er mit einer ungeheurenSumme gelockt hatte, war sie schwach geworden und hatte ihn zu streicheln begonnen, was er mit einer sarkastischen Bemerkung zurückwies: er treibe es nicht mit Toten. Ganz ruhig, mein Schatz, soll ich es dir so machen, wie du es magst? Ich meine es ernst. Wovon redest du? Was meinst du ernst? Keine Antwort. Hab ich was falsch gemacht, mein Engel, mein Plüschbär? Wenn ja, kannst du mir noch mal verzeihen? Er drehte sich nicht mal um.
    Sie hat den Brief an ihre Mutter nicht zu Ende geschrieben, ihr auch das Geld noch nicht geschickt. Strom, Wasser und Telefon waren bezahlt. Für Montag hat sie einen Termin beim Gynäkologen und bei der Fußpflegerin vereinbart, und die Leute aus Mazatlán? Den Geburtstag von Yhajaira, ihrer Mitbewohnerin, hat sie völlig vergessen, das erste Mal, dass ihr das passierte. Niemand macht sich über mich lustig, schon gar nicht eine Scheißnutte. Sie hat schon öfter daran gedacht, sich Pfefferspray zu besorgen, aber wozu? So gefährlich war die Stadt nun auch wieder nicht, außerdem war ihre Handtasche im Auto. Darin waren die achtzehntausend Dollar, die ihr Liebhaber ihr geschenkt hat, damit sie seit Freitag nicht zur Arbeit ging, der unfertige Brief, ihre Körpercreme, ihre Schlaftabletten und vieles mehr. Jetzt würde alles diesem Schwein in die Hände fallen, der sie mit den Schönen und Reichen bekannt gemacht hatte, na und? Wieso habe ich das Geld nicht zu Hause gelassen? Weil ich’s eilig hatte. Ich wollte dich nicht verletzen. Halt’s Maul! Ich hab dich zur Millionärin gemacht, was wolltest du denn noch? Das Gestrüpp zerkratzte ihre Beine, aber das spürte sie längst nicht mehr. Dass du mich nicht bedrohst, mein Herz, dass du nicht so wütend auf mich bist, nur weil ich nicht mit dir zusammen sein wollte. Sie musste unbedingt noch ... Dahörte sie den Schuss: die Nacht wurde schlagartig dunkler. Sie lag auf dem Rücken, den Blick zum weißlichen Mond gerichtet. Der Mörder ließ sich Zeit, großgewachsener Typ, kräftig, kurze Haare, nicht um ihr die Augen zu schließen, sondern um ihr Top nach unten zu ziehen und eine ihrer dunklen Brustwarzen abzuschneiden.
    Auf der nahe gelegenen Landstraße zog das Vergessen seine Bahn.

2
    Zwei Uhr morgens. Edgar Mendieta, der Zurdo, setzte sich auf und gab beim Ausatmen einen merkwürdigen Laut von sich. Ihm war, als irrte er durch eine dunkle Höhle, die sein Magen war, und stieße auf ein verängstigtes Selbst in Miniaturformat ohne Vergangenheit und ohne Zukunft. Ich werde vor Mick Jagger sterben, dachte er. Im Fernsehen wurden Fitnessgeräte angepriesen. Der Typ ist jetzt Vegetarier und schluckt Omega-6-Kapseln und Kalzium-Tabletten. Er machte den Fernseher aus. Wer bin ich? Wer sagt, dass ich das Richtige tue? Was bin ich wert? An welchem Punkt meines Lebens habe ich mich geirrt? Lohnt sich das Leben? Ein Idiot ohne Liebe, ohne Erfolg, mit einem Job, den keiner schätzt;
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