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Im Schatten der Gerechtigkeit

Im Schatten der Gerechtigkeit

Titel: Im Schatten der Gerechtigkeit
Autoren: Anne Perry
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sich an sonst noch etwas, was seine Erscheinung anbelangt? War er dunkel oder blond, groß oder klein?«
    »Ich… ich weiß nicht. Ich…« Sie atmete scharf ein. »Ich nehme an, ich muß wohl die Augen geschlossen haben. Es war …«
    »Still, Liebes«, sagte Julia rasch und verstärkte einmal mehr den Griff ihrer Hand an Mariannes Schulter. »Wirklich, Mr. Monk, sie kann Ihnen nicht mehr über ihn sagen. Das Ganze war ein furchtbares Erlebnis. Ich bin froh, daß es sie nicht um den Verstand gebracht hat. Bei solchen Dingen soll das ja schon vorgekommen sein!«
    Monk trat den Rückzug an; er wußte einfach nicht, wie weit er in sie dringen sollte. Er konnte sich ihren Schrecken, ihren Abscheu bestenfalls vorstellen. Aber nichts könnte ihm ihre Erfahrung nahebringen.
    »Sind Sie sicher, daß Sie das tatsächlich weiterverfolgen wollen?« fragte er, so sanft er nur konnte, und sah dabei nicht etwa Julia, sondern Marianne an.
    Trotzdem kam Julia ihr zuvor. »Wir müssen einfach.« Ihre Stimme war von eiserner Entschlossenheit. »Es wäre absolut falsch, so etwas ungestraft zu lassen. Und von der Frage der Gerechtigkeit einmal ganz abgesehen, wir müssen sie davor schützen, diesem Mann jemals wieder zu begegnen. Sie müssen also fortfahren, Mr. Monk. Was können wir Ihnen sonst noch sagen, was von Nutzen sein könnte?«
    »Vielleicht könnten Sie mir die Gartenlaube zeigen?« fragte er im Aufstehen.
    »Selbstverständlich«, pflichtete Julia ihm sofort bei. »Sie müssen sie sehen, wie sonst könnten Sie sich ein Urteil bilden?« Sie warf einen Blick auf Marianne. »Möchtest du mitkommen, Liebes, oder bleibst du lieber hier?« Sie wandte sich wieder an Monk. »Sie war seither nicht mehr draußen.«
    Monk wollte ihr eben sagen, er sei ja dabei und könne sie schützen, als ihm klar wurde, daß ihr schon die Tatsache, mit einem Mann allein zu sein, den sie eben erst kennengelernt hatte, angst machen könnte. Er wußte nicht mehr weiter. Diese Geschichte erwies sich als schwieriger, als er gedacht hatte.
    Aber Marianne überraschte ihn.
    »Nein, das ist schon recht, Julia«, sagte sie mit fester Stimme.
    »Ich werde sie Mr. Monk zeigen. Vielleicht kommt ja der Tee, während wir draußen sind, dann können wir anschließend gleich eine Tasse trinken.« Und ohne auf Julias Antwort zu warten, ging sie voran in den Flur und dort zur Seitentür hinaus in den Garten.
    Nach einem Blick auf Julia folgte Monk ihr und stand schließlich im Schatten eines Goldregens und einer ihm unbekannten Birkenart auf einem kleinen, gepflasterten Hof. Vor ihm erstreckte sich ein langer schmaler Rasen; vielleicht fünfzehn Meter weiter sah er ein hölzernes Gartenhaus.
    Er folgte Marianne über das Gras unter den Bäumen in die Sonne. Das Gartenhaus war klein und rundum verglast, innen stand eine Bank. Eine Staffelei sah er nicht, aber der Raum war groß genug, um eine hineinzustellen.
    Auf der Stufe wandte Marianne sich um.
    »Hier war es«, sagte sie schlicht.
    Er nahm alles sorgfältig in Augenschein und prägte sich jede Einzelheit ein. Bis zur Rabatte waren es rundum wenigstens sieben Meter, an drei Seiten befand sich eine Mauer, auf der vierten Baumgarten und Haus. Sie mußte sich ganz auf ihre Malerei konzentriert haben, wenn sie den Mann nicht hatte kommen hören, und der Gärtner mußte wohl gerade an der Stirnseite des Hauses oder in dem kleinen Kräutergarten auf der anderen Seite gewesen sein.
    »Haben Sie geschrien?« fragte er sie und wandte sich ihr wieder zu.
    Ihre Züge verspannten sich. »Ich… ich glaube nicht. Ich erinnere mich nicht.« Sie erschauerte heftig, dann starrte sie ihn wieder schweigend an. »Es… es ist durchaus möglich. Es ist alles…« Wieder der stumme Blick.
    »Lassen Sie’s gut sein«, sagte er und ließ das Thema fallen. Es hatte keinen Sinn, sie so zu quälen, daß sie sich an überhaupt nichts mehr erinnerte. »Wo haben Sie ihn zuerst gesehen?«
    »Ich verstehe nicht.«
    »Haben Sie ihn über den Rasen auf sich zukommen sehen?« fragte er.
    Sie sah ihn völlig verwirrt an.
    »Haben Sie es vergessen?« Er gab sich alle Mühe, sie mit Samthandschuhen anzufassen.
    »Ja.« Sie ergriff die Gelegenheit. »Ja… tut mir leid…«
    Mit einer Handbewegung schloß er das Thema ab. Dann verließ er das Gartenhaus und trat an den Rand des Rasens, wo eine alte Steinmauer die Grenze zum benachbarten Garten zog. Sie war etwa einen Meter zwanzig hoch und hier und da mit dunklem Moos überzogen. Spuren waren nicht
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