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Im Niemandsland

Im Niemandsland

Titel: Im Niemandsland
Autoren: Hans Kneifel
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Knochenmehl zermahlen werden sollten.
    »Deshalb also die Caer-Wächter!« murmelte er, und im gleichen Augenblick öffnete sich das massive Holztor.
    Lorana stand darin und starrte ihn verwirrt an. Sie wirkte, als habe man sie geschlagen. Abgezehrt, hohläugig und voller Schrecken. Ihre Kleidung war zum Teil zerrissen und verschmutzt. Sie konnte nur noch stammeln: »Mythor!«
    »Kein anderer!« sagte der Einhornreiter und breitete die Arme aus. »Ich bin hier und brauche Essen, guten Zuspruch und ein heißes Bad.«
    »Aber.«, begann das junge Mädchen, das in den vergangenen Tagen um Jahre gealtert schien. »Die Caer sind überall.«
    »Zwei Caer weniger«, sagte Mythor. »Du kannst mir berichten, was geschehen ist. Aber zuerst lass mich hinein.«
    Noch war die Sonne nicht aufgegangen. Binnen kurzer Zeit brachte Lorana trockene Kleidungsstücke. Mythor wusch sich in einem Kessel voll warmen Wassers und streifte sich die Kleider über. Er aß und trank, während er sich reinigte. In der gesamten Zeit saß Vercin schweigend am Tisch und stierte mit blinden Augen vor sich hin. Vor dem Eingang, den sie geöffnet zurückgelassen hatten, standen Pandor und Hark und würden die ersten Eindringlinge vertreiben.
    Schreckensbleich stotterte Lorana: »Die Caer brachten Wagenladungen voll Knochen. Sie mahlen die Knochen in unserer Mühle!«
    »Entweiht… geschändet… das Große Schaurige Horn hat geblasen...«, lallte ihr Ziehvater. Der Mann schien den schmalen Grat zwischen Vernunft und Wahnsinn überschritten zu haben.
    »Sie haben die Knochen gemahlen?« fragte Mythor, aß und trank dünnes Bier. Er wartete darauf, dass seine hochschäftigen Stiefel am Herdfeuer trockneten.
    »Sie zerkleinerten die Knochen zu Mehl. Du hast die Säcke gesehen. Und sie kommen wieder.«
    »Was wollen sie mit dem Mehl aus Menschenknochen?« fragte Mythor kauend und daher undeutlich.
    »Das weiß ich nicht. Die Tiere meines Ziehvaters«, klagte das Mädchen, »sind alle geflohen.«
    »Wann?« fragte der junge Krieger.
    »Drei Tage ist es her. Oder vier, fünf Tage. Ich weiß es nicht mehr.«
    »Alles vergebens«, brummte Vercin. »Das Universum wird zusammenbrechen. Die Lichtwelt stirbt. In ganz, ganz kurzer Zeit wird meine Arche zerstört werden.«
    Vercin wandte Mythor sein bärtiges Gesicht zu. Die Haut war grau und verfallen. »Meine Tiere stöhnen, wimmern und schreien!« sagte er mit einer verrostet klingenden Stimme. »Geh hinaus, Lorana, mein Lieb, und füttere sie.«
    Das Mädchen und Mythor wechselten einen langen Blick des Einverständnisses und der tiefen Trauer. Die Gedanken Vercins waren endgültig verwirrt. Mythor rieb seine Zehen mit einem Tuch trocken und fasste in die Schäfte der Stiefel. Sie waren noch nicht trocken.
    Er packte die Reste des Essens ein und sagte leise: »Wir müssen von hier weg. Ich bringe dich zu Graf Corian in Sicherheit. Es gibt zu viele Caer hier.«
    »Ich komme mit dir, Mythor«, flüsterte Lorana und warf einen ratlosen Blick auf Vercin, der sein verwittertes Gesicht in seinen hornigen Handflächen verbarg und langgezogen aufstöhnte.
    Draußen stimmte der Bitterwolf ein aufgeregtes Heulen an. Witterte er kommendes Unheil?
    Mythor wickelte einen Brotlaib in ein festes Tuch und schob ihn in die feuchte Satteltasche. Seine Haut, frisch gewaschen, prickelte und juckte. Er blickte in Loranas Gesicht und deutete in Richtung des Ausgangs.
    »Versuch«, sagte er entschlossen, obwohl er wusste, welche Last er sich mit seiner Gutmütigkeit auflud, »deinen Ziehvater zu mir hinauszubringen. Ich sehe nach dem Rechten.«
    »Ich versuche es, Mythor!« versprach Lorana.
    Mythor fuhr in seine feuchten Stiefel, vergewisserte sich, dass er all sein Gepäck bei sich hatte, und sprang nach draußen. Die ersten Sonnenstrahlen zuckten wie gleißende Speere über das Land. Pandor trabte heran. Das Horn war von frischem Blut gerötet. In den Büschen hing ein Caer, der von dem Einhorn aufgespießt worden war. Der Bitterwolf stand unbeweglich neben dem Pfad und starrte Mythor aus glühenden Augen an.
    Mythor führte Pandor von der Arche mit den nach außen gebogenen Wänden weg. Der Nebel war verschwunden. Er hob den Kopf und blickte in den Himmel hinauf. Die Wärme des südlichen Windes kündigte sich an. Zwischen den großen Flächen aus hellem Blau trieben langgezogene Wolken nach Norden. Die Sonne hatte diesen Bereich des Flusstals noch nicht erreicht. Die Nebelschwaden zogen sich zurück, aber sie füllten den Raum
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