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Im Land des weiten Himmels

Im Land des weiten Himmels

Titel: Im Land des weiten Himmels
Autoren: J Wolfe
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Angst vor der vornehm gekleideten Dame mit der seltsamen Kopfbedeckung.
    »Das ist Abbie«, rief Hannah ihnen zu. »Wollt ihr meiner Freundin nicht guten Tag sagen? Sie würde sich bestimmt freuen, euch näher kennenzulernen.«
    Die Kinder wichen vor ihnen zurück.
    »Wir haben leckere Kekse für euch dabei!« Hannah hielt den Beutel mit den üblichen Geschenken hoch, ein Glas mit Keksen und ein paar Lebensmittel. Doch nur Dorothy blieb unschlüssig in einiger Entfernung stehen.
    »Hallo, Dorothy! Wie geht es dir?«
    Dorothy starrte sie eine Weile an und lief dann ebenfalls davon, verkroch sich hinter ein Gestrüpp und beobachtete sie durch die keimenden Zweige.
    »Sie sind nur etwas schüchtern«, entschuldigte sich Hannah bei der Frau des Unternehmers, »in ein paar Minuten sieht das sicher ganz anders aus.«
    Sie half Abbie aus dem Boot und ging mit ihr den Strand hinauf.
    »Das ist das Sommercamp der Indianer, nicht wahr?«, sagte die Frau des Unternehmers. Sie fühlte sich sichtlich unwohl. »Warum bringen Sie mich hierher? In Fairbanks riet man uns, den Indianern aus dem Weg zu gehen.«
    »Sie sind meine Freunde, Abbie. Haben Sie keine Angst.«
    Doch ihr Plan, die Frau des Unternehmers mit den Indianern bekanntzumachen, schien nicht aufzugehen. Die Reaktion der Kinder hatte sie erwartet, nicht aber die feindselige Haltung der Erwachsenen, die sich wie bei ihrem ersten Besuch verhielten, sie mit misstrauischen Blicken bedachten und sich in ihren Häusern verkrochen. Schon nach kurzer Zeit waren Abbie und sie allein, als wartete man darauf, dass sie so schnell wie möglich verschwanden.
    Adam kam ihnen als Einziger entgegen. Er trug ein indianisches Jagdhemd und die Fellmütze mit der Feder und schien während der letzten Monate noch erwachsener geworden zu sein. Bei Hannahs letzten Besuchen hatte er sich stets im Hintergrund gehalten, und einige Male war er gar nicht im Dorf, sondern in den Bergen gewesen. »Um mit den Geistern und dem Gott des weißen Mannes zu sprechen«, wie Chief Alex erklärt hatte. Hannah nahm an, dass er die Götter gebeten hatte, das Unheil, das mit den Holzfällern kommen würde, von ihrem Dorf abzuhalten. Und, so glaubte sie, er betete darum, seine Gefühle in den Griff zu bekommen. Noch immer war das heimliche Glitzern in seinen Augen, wenn er sie ansah, auch jetzt. »Ma’am … Hannah«, begrüßte er sie mit einem höflichen Lächeln, wurde aber sofort wieder ernst. »Es ist alles so gekommen, wie wir befürchtet haben, nicht wahr?«, sagte er zu Hannah.
    Statt direkt darauf zu antworten, stellte sie Abbie und Adam einander vor. »Adam ist bei einer weißen Familie aufgewachsen«, erklärte sie. »Viele Leute in diesem Dorf glauben, dass er der neue Häuptling seines Volkes wird, sobald Chief Alex sich zurückzieht. Er steht für alte und neue Werte, die Tradition und den Glauben der Tanana – und den Weg, den sie gehen müssen, wenn sie in der Welt der Weißen bestehen wollen.«
    »Es freut mich sehr, Sie kennenzulernen, Adam«, sagte Abbie. Anscheinend war sie ehrlich beeindruckt und auch überrascht vom höflichen Benehmen des jungen Indianers. Adam trat nicht wie die »faulen und verlausten Wilden« auf, die man ihr beschrieben hatte, eher wie ein Gentleman aus San Francisco. »Hannah hat mir einiges über Ihr Volk erzählt. Ich muss zugeben, ich wusste nicht viel über Indianer. Ich bin zum ersten Mal hier und dachte …«
    »… dass wir Wilde wären?« Adam lächelte verständnisvoll. »Mir ging es ähnlich, als ich zu der weißen Familie kam. Ich hielt alle Weißen für gewissenlose Verbrecher, die nur unseren Untergang wollen und sich weder um unsere Tradition noch unseren Glauben scheren. Aber die Familie, bei der ich wohnte, war anders. Sie behandelten mich wie ein weißes Kind, als wäre ich von Geburt an bei ihnen gewesen. Ich bin ihnen sehr dankbar. Sie haben mir gezeigt, dass es einen gemeinsamen Weg für Weiße und Indianer gibt. Was die einen über die anderen sagen, zählt nicht. Man muss einander kennenlernen und miteinander sprechen. Auch deshalb bin ich zu meinem Volk zurückgekehrt. Ich war zu einem Weißen geworden und wusste nicht mehr, wie Indianer denken und fühlen. Jetzt weiß ich es besser. Ich kenne beide Seiten.«
    Hannah blickte den jungen Indianer ernst an und hoffte, dass er in ihren Augen las. »Deshalb habe ich Mrs Farnworth in euer Camp gebracht, damit sie euch besser kennenlernt. Ihr Mann und der Biologe sind beim Winterlager drüben und sehen
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