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Im Land des weiten Himmels

Im Land des weiten Himmels

Titel: Im Land des weiten Himmels
Autoren: J Wolfe
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Knacken an. Hannah war gerade dabei, den Husky zu füttern, und dachte schon, einer der Indianer hätte in der Nähe auf Wild geschossen, doch als sie zum Ufer lief, erkannte sie, dass das Eis aufgebrochen war und ein tiefer Spalt zur Flussmitte lief. »Breakup« nannten die Weißen das Aufbrechen des Eises. Die Indianer glaubten, der Wintergeist würde vor der Sonne fliehen und dabei hässliche Geräusche von sich geben.
    Fast musste sie weinen, als ihr klar wurde, dass sie es geschafft hatte, sie hatte ihren ersten Winter allein in der Wildnis nicht nur überlebt, sie hatte ihn gut genutzt. Sie konnte inzwischen Hundeschlitten fahren, hatte schießen geübt und die Kinder der Indianer unterrichtet. Besonders stolz aber war sie auf ihre Schlittenfahrt und die Rettung des kleinen Mädchens, an der Frank seinen Anteil hatte. Frank … Sie blickte zum Himmel empor. Doch das Brummen der Jenny erklang nicht, und der Himmel blieb leer. Hannah tröstete sich damit, dass er einige Tage brauchen würde, um die Maschine umzurüsten und startklar zu machen, und vielleicht noch auf eine Lieferung des U. S. Post Office warten musste, ehe er zum Gold River fliegen konnte. Mit dem Frühjahr begann auch seine Arbeit für die Post wieder, und er würde nicht mehr allein über seine Zeit verfügen können.
    Hannah nutzte die nächsten Tage, um den Indianern beim Umzug zu helfen. Wie in jedem Frühjahr wechselten sie von ihrem Winterdorf in ihr Fishing Camp am Flussufer. Während des kurzen Sommers mussten sie genügend Vorrat für den langen Winter zusammenbekommen, durften sich nicht auf das Jagdglück der jungen Männer verlassen, die auch bei Schnee und Eis auf die Jagd gingen, vor allem aber nach Pelztieren suchten, deren Felle sie in Fairbanks gegen Kaffee, Zucker, Tabak und andere Waren eintauschen konnten.
    Mit den Tanana kam Hannah inzwischen blendend aus. Manchmal hatten sie ihr nach ihrem Unterricht einen Fisch mitgegeben, einer der jüngeren Männer war vorbeigekommen, um Holz zu hacken, und einmal war der Schnee geräumt gewesen, als sie am Morgen nach ihrem Husky sehen wollte. Hannah wusste nicht, wie sie ohne die Indianer hätte durch den Winter kommen sollen. Inzwischen hatten sie wohl erkannt, dass Hannah nicht mit den bösen Geistern im Bunde war. Woher sollten sie auch wissen, dass diese näher waren, als sie glaubten, und es nur noch eine Frage der Zeit war, bis die ersten Holzfäller in den Wäldern am Gold River auftauchen würden. Hannah würde versuchen, sie davon abzubringen, ahnte aber jetzt schon, dass sie bei Joseph Farnworth, der nur an seinem Profit interessiert war, auf Granit beißen würde. Wenn sie ihn wenigstens daran hindern könnte, die Bäume in der unmittelbaren Umgebung des Dorfes zu fällen, überlegte sie, dann wäre den Tanana schon geholfen, und der Kelch gewalttätiger Streitereien zwischen Indianern und Weißen ginge vielleicht an ihnen vorüber.
    Im Sommercamp feierten die Indianer den Umzug mit einem traditionellen »Potlatch«, bei dem gegessen, gesungen und zum Klang der Trommeln getanzt wurde. Zum Gemeinschaftstanz holte Dorothy Hannah in den Kreis der Tanzenden, und sie bewegte sich mit großem Vergnügen zu dem stampfenden Rhythmus. Die wichtigste Sache beim Potlatch waren aber die Geschenke, die man sich gegenseitig machte. Nicht wer am meisten erhielt, sondern wer am meisten verschenkte, war besonders angesehen. Hannah hatte Lebensmittel und ein selbst genähtes Kleid für Dorothy mitgebracht. Bis spät in die Nacht saß Hannah mit den Indianern am Lagerfeuer und lauschte ihren Geschichten. In ihrem nächsten Brief an ihre Freundin Clara, den sie bereits angefangen hatte, musste sie ihr unbedingt davon berichten.
    Wie schnell sich eine beschwingte Stimmung in Bedrückung und Angst verwandeln konnte, erkannte Hannah am nächsten Vormittag, als sie durch Motorengeräusch ans Ufer gelockt wurde und dort nicht die rote Jenny, sondern ein kleines Dampfboot zu ihrer Anlegestelle getuckert kommen sah.
    Schon bevor ein junger Mann von Bord gesprungen, das Dampfboot vertäut und die Gangway ausgelegt hatte, ahnte sie, wer ihre Besucher waren: Joseph Farnworth, seine Frau Abbie und Horatio W. Pearlman, der Biologe, der bei ihr zu Gast gewesen war. Die Begrüßung fiel unterschiedlich aus. Während Farnworth sich verbeugte und sie mit einem »Freut mich, Sie wiederzusehen, Miss!« begrüßte und Pearlman ebenfalls versuchte, sich wie ein Gentleman zu benehmen, dabei aber vergaß, seinen
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