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Im Land des Regengottes

Im Land des Regengottes

Titel: Im Land des Regengottes
Autoren: Gina Mayer
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Haus wagte!
    »Missionar Freudenreich hat um meine Hand angehalten«, erklärte sie mir. »Und ich habe mich dazu entschlossen, sein Angebot anzunehmen.«
    Sie sah mich nicht an, als sie das sagte, sondern hielt die Augen auf ihre gefalteten Hände gerichtet.
    »Aber wie kommt dieser Mann denn ausgerechnet auf dich?«, fragte ich.
    »Er stammt aus Elberfeld und kennt die Kohlstraße gut, er hat einst als Zögling sogar in der Kapelle Sonntagsschule gehalten. Nachdem nun seine erste Frau verstorben ist, hat er sich an Pastor Krupka gewandt, ob er ihm nicht eine Nachfolgerin für sie nennen könnte. Und Pastor Krupka war so freundlich, ihm meinen Namen und die Anschrift zu geben.«
    »Also wusste der Pastor von den Briefen?«
    »Nein.« Meine Mutter räusperte sich. »Ich habe ihm nicht erzählt, dass Missionar Freudenreich sich tatsächlich mit mir … in Verbindung gesetzt hat.«
    »Bis jetzt nicht. Aber gerade eben habt ihr darüber gesprochen.«
    »Ja.«
    »Und? Was sagt der Pastor dazu?«
    »Ja«, sagte meine Mutter. »Er meint auch, dass es nicht die schlechteste Lösung ist. Es ist bestimmt besser, als wenn man dich oben auf dem Kratzkopp …« Sie räusperte sich wieder.
    Einen Moment lang war ich versucht, ihr alles zu gestehen. Dass ich mir nur ausgedacht hatte, dass Rudolf mich belästigte . Heirate diesen Mann nicht, jedenfalls nicht meinetwegen. Aber im letzten Augenblick biss ich mir auf die Zunge. Meine Mutter hatte die Ersparnisse ausgegeben, die mein Vater für meine Seminarausbildung zurückgelegt hatte. Ohne mich zu fragen, ohne mich zu informieren, hatte sie das Geld genommen. Da war es nur gerecht, dass nicht nur ich die Folgen dafür tragen würde. Ich hatte Gott angefleht, dass er mir ein Dienstbotenschicksal auf dem Kratzkopp ersparen möge – vielleicht war das ja nun seine Antwort. Eine Missionarsstation in Afrika.
    Den ganzen restlichen Tag konnte ich nicht mehr aufhören, darüber nachzudenken. Ich erinnerte mich daran, dass wir die deutschen Kolonien und Protektorate in der Schule durchgenommen hatten. Deutsch-Südwestafrika lag fast am untersten Zipfel von Afrika, das wusste ich noch. Wir hatten auch über das Klima gesprochen, über die Eingeborenenstämme, die das Land ursprünglich besiedelt hatten, und über ihre Missionierung. Aber mir fiel beim besten Willen nicht mehr ein, was uns unser Lehrer darüber erzählt hatte. Ich hatte gar nicht richtig hingehört, die ganze Angelegenheit war viel zu weit weg gewesen.
     
    Gleich am nächsten Tag gingen meine Mutter und ich zum Fotografen und ließen ein Porträt von uns anfertigen. Wie fremd wir beide auf dem Bild aussahen! Meine Mutter in ihrem schwarzen langen Sonntagskleid, das Haar unter dem Hut straff zurückgekämmt, die Hände vor dem Leib gefaltet, der Gesichtsausdruck ernst, fast finster. Ich hatte zumindest ein kleines Lächeln auf den Lippen. Ich trug mein hochgeschlossenes, schwarzes Konfirmationskleid, das mir an den Ärmeln zu eng und zu kurz geworden war, und dazu den dunklen Hut mit dem schwarzen Seidenband. Für den Fotografenbesuch hatte ich meine Zöpfe am Hinterkopf zu einem Dutt zusammengesteckt.
    »Wie zwei Schwestern steht ihr da«, sagte der Fotograf, als wir einige Tage später die Abzüge abholten.
    Und das lag nicht daran, dass meine Mutter so jung aussah, sondern daran, dass ich selbst so überaus erwachsen wirkte.
    Das Bild gefiel mir, auch wenn ich mich darauf kaum wiedererkannte. Oder gerade deshalb. Ich machte mir allerdings Sorgen, ob Missionar Freudenreich nicht enttäuscht sein würde, wenn er mich in natura erblickte, mit meinen widerspenstigen Locken und den Sommersprossen, von denen auf dem Foto nichts zu sehen war.
    Den einen Abzug schickte meine Mutter zusammen mit ihrem Antwortschreiben nach Afrika. Ich linste über ihre Schulter, kurz bevor sie den Brief in den Umschlag steckte. » Nach innigem Gebet und unter dem gütigen Zuspruch von Pastor Krupka habe ich mich entschlossen, Ihren Antrag anzunehmen … «
    »Was ist, wenn er es sich nun doch anders überlegt?«, fragte ich. »Vielleicht hat er ja inzwischen auch schon eine andere Frau gefunden?«
    Meine Mutter sah mich so entgeistert an, als hätte ich etwas ungeheuer Unsinniges gesagt. »Was denkst du eigentlich von ihm?«
    Ja, was dachte ich eigentlich von Freudenreich in jener Zeit in der Kohlstraße, bevor ich ihn wirklich kennenlernte?
    Ich wusste ja rein gar nichts über ihn, also hielt ich mich an seinen Namen. Freudenreich. Das klang
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