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Im Land des Regengottes

Im Land des Regengottes

Titel: Im Land des Regengottes
Autoren: Gina Mayer
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erschrocken an, woraufhin mein Gesicht noch stärker zu glühen begann.
    »Das kann doch nicht wahr sein«, murmelte sie und traf damit den Nagel auf den Kopf. Während ich verschämt die Augen senkte, stand sie auf. »Wie lange geht das schon?«, fragte sie mit zitternder Stimme.
    »Schon eine Weile. Ein paar Wochen. Es ist mir so … widerlich.«
    »Warum hast du nie etwas gesagt?«
    Ich zuckte mit den Schultern. Meine Mutter schien auch keine Antwort zu erwarten. Eine Weile rannte sie im Zimmer auf und ab und rang die Hände, dann blieb sie wieder stehen und sah mich an. »Ich rede morgen mit Pastor Krupka. Er wird wissen, was zu tun ist.« Sie legte mir eine Hand auf den Kopf und zog sie sofort wieder weg, als habe sie sich an mir verbrannt. »Mach dir keine Sorgen.«
    Dann verschwand sie in der Nähstube. Ich räumte den Abendbrottisch ab und fühlte ich mich auf einmal elend. Was würde geschehen, wenn der Pastor Rudolf zu meinen Vorwürfen befragte? Wem würde er glauben, Rudolf oder mir?
    Mir natürlich. Ich war ein unbescholtenes Mädchen, Rudolf dagegen fluchte ständig, trank heimlich und fehlte jeden dritten Sonntag in der Kirche.
    Dennoch. Ich hatte gelogen. Und Lügen war eine Sünde.
    Es war ja gar keine richtige Lüge, versuchte ich, mir selbst einzureden. Rudolf sah mich ja wirklich immer lüstern an, es war nur eine Frage der Zeit, bis den Blicken Taten folgen würden. Und außerdem: Der Zweck heiligt bekanntlich die Mittel.
     
    Gleich am nächsten Morgen ging meine Mutter mit mir nach Elberfeld zu Pastor Krupka, obwohl sich der Berg von Näharbeiten in unserem ehemaligen Wohnzimmer bis zur Decke türmte. Ich schwitzte vor Aufregung, weil ich befürchtete, dass mir der Pastor eine Fülle peinlicher Fragen stellen würde, aber die Sorge war unbegründet.
    »In unsittlicher Weise?«, fragte er nur zögerlich, nachdem meine Mutter ihm erklärt hatte, dass Rudolf mich angefasst hätte.
    Ich nickte hastig.
    »Was sollen wir denn jetzt bloß tun?«, fragte meine Mutter.
    Eine Weile betrachteten sie mich beide. Unschlüssig, ratlos, zweifelnd. Sollten sie mir glauben oder die Sache einfach unter den Teppich kehren? Das Blut rauschte in meinen Ohren. Was, wenn der Pastor die Sache nun zur Sprache brachte und sie mich danach trotzdem auf den Kratzkopp schickten? Frau Künstner würde Rudolf nie und nimmer entlassen, da war ich mir sicher. Trotz seiner abscheulichen Art arbeitete er hart und ausdauernd und vermutlich zahlte sie ihm nur einen lächerlichen Lohn, geizig, wie sie war. Auch in harten Zeiten wie diesen fanden sich solche Arbeitskräfte nur schwer. Vielleicht würde er sich hinterher für die Verleumdung an mir rächen …
    »Wovon wollt ihr leben, wenn Jette nicht auf den Kratzkopp geht?«, fragte Pastor Krupka.
    Meine Mutter schluckte, ich hörte es ganz deutlich, obwohl unsere Stühle ein ganzes Stück voneinander entfernt standen. Danach schickte sie mich aus dem Raum, weil sie allein mit dem Pastor reden wollte.
    Ich stand in dem zugigen Flur des Pfarrhauses. An der gegenüberliegenden Wand hing ein Bild, auf dem Jesus mit seinen Jüngern über den stürmischen See Genezareth fuhr. Die Jünger schrien und rauften sich die Haare, Jesus aber schaute mit ruhigem Blick über ihre Köpfe hinweg, direkt in mein Gesicht.
    Ich schauderte.
    Dann kamen meine Mutter und der Pastor aus dem Raum. »Ich bin sicher, dass Gott dir den richtigen Weg weisen wird, Martha«, sagte der Pastor, der meine Mutter beim Vornamen nannte und duzte wie alle anderen Gemeindeglieder auch. »Und auch für dich wird er sorgen, Jette«, verabschiedete er sich danach von mir. »Wohin du auch gehst, so wird ER doch bei dir sein, vergiss das nur nicht.«
    »Was hast du mit ihm besprochen?«, fragte ich meine Mutter auf dem Nachhauseweg.
    Sie seufzte und antwortete nicht. Aber diesmal ließ ich nicht locker. Es ging um mein Leben, und wenn der Pastor nun schon darüber Bescheid wusste, dann wollte auch ich erfahren, wie es weiterging.
    »Ich werde nicht schlafen gehen, bevor du es mir nicht erzählt hast«, sagte ich, als wir zu Hause waren.
    Meine Mutter seufzte noch einmal. »Also gut«, meinte sie dann. »Es hat mit dem Brief zu tun, der neulich hier angekommen ist.«
    Mein Herz schlug auf einmal laut und aufgeregt.
     
    Am Anfang konnte ich es gar nicht glauben. Meine Mutter hatte vor, die Kohlstraße zu verlassen und nach Afrika überzusiedeln. Ausgerechnet meine furchtsame, ängstliche Mutter, die sich allein kaum aus dem
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