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Sternenseide-Zyklus 1 - Kind der Dunkelheit

Titel: Sternenseide-Zyklus 1 - Kind der Dunkelheit
Autoren: Sydney J. Van Scyoc
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1 Der Junge
    Der Tag war trübe, der Himmel tiefgrau. Im Wald war es ein Morgen böiger Winde und entfernter Donner. Die schmalen Glieder des Jungen glänzten von Schweiß, als er durch das dichte Unterholz schlüpfte, den Stimmen entgegen. Sein schmächtiger Körper war angespannt, die Augen waren wachsam. Sie hatten ihn jetzt akzeptiert, diese rauhen Menschen mit ihren verdeckten Augen und den stumpfen, belegten Zähnen. Sie behandelten ihn, wie sie auch ihre eigenen Kinder behandelten: mit rauher Ungezwungenheit. Solange er seine auferlegten Pflichten erfüllte und den Menschen nicht in den Weg kam, konnte er unbelästigt umhergehen. Aber wehe, er hielt einen Moment in seiner Arbeit inne; wehe, er zögerte, und wehe – schlimmer noch – er stellte Fragen; dann empfing er einen Schlag von schwerer Hand. Für gewöhnlich wurde der Schlag von einem kurzen Grunzen begleitet, das der Junge als Lachen erkannte.
    Er hatte nie gelernt, das Lachen dieser Menschen zu teilen, ebensowenig hatte er gelernt, sich an den Pflichten zu erfreuen, die sie ihm und den anderen Kindern auferlegt hatten. Er hielt unter einem Bitterblatt-Busch inne und starrte finster auf seine Hände. Sie waren rauh von der Steinernte. Gestern hatte er sich mit den anderen – während das Flußbett für kurze Zeit trocken war – durch Tonnen von Flußkieseln geplagt und die für den Handel geeigneten Steine aussortiert. Die Stämme aus dem Süden bevorzugten winzige, graue, kristalline Steine, während die primitiven Stämme des Ostens und Nordens auf den Handel mit durchsichtigen blauen und grünen Steinen erpicht waren. Aber alle waren unter Mengen wertloser Kiesel und Steine verborgen. Die Hände der anderen Kinder waren mit schützenden Haarborsten bedeckt. Sie konnten überall graben, ohne sich zu verletzen. Die Hände des Jungen hatten diesen Schutz nicht, und ein Fingernagel war ihm bis aufs Fleisch eingerissen .
    Er berührte ihn versuchsweise und zuckte zurück. Dazu kam noch, daß seine Hände, Arme und Schultern steif waren und sein Rücken schmerzte. Er schaute durch die Bäume zum grollenden Himmel. Sicherlich würde es heute wieder regnen, und die Kieselbetten würden überflutet.
    Aber heute waren am frühen Morgen ungewohnte Geräusche zu hören gewesen, die tief aus dem Wald kamen: schleifendes, winselndes Summen, gefolgt vom erschütternden Lärm eines kreischenden Aufpralls. Nach einem Augenblick erschrockenen Schweigens unterbrachen die Erwachsenen die Ernte und liefen in den Wald, ohne sich die Mühe zu machen, Warnungen in die Richtung der Kinder zu rufen. Nach einiger Zeit kam dann einer der Männer zurück zum Kieselufer, zeigte ein paar metallisch glänzende Geräte vor und lachte heiser. Er lehnte es ab, die Ernter seine Beute begutachten zu lassen, und schließlich gaben die Jugendlichen und Kinder ihre Arbeit auf, verschwanden ebenfalls im Gestrüpp und horchten auf die Rufe in der Ferne.
    Der Junge war ihnen vorsichtig gefolgt. Als er sich dem Ursprung der Rufe näherte, ließ ihn das, was er wahrnahm, erstarren. Ein Schiff war vom Himmel ins Tal gefallen, ein Schiff wie eines von jenen, die manchmal kamen, um Handel zu treiben. Nervös biß der Junge an seinem eingerissenen Nagel und versuchte, die auf ihn einstürmenden Bilder abzuwehren: das Aufblitzen eines Metallrumpfes, dunkle Zeichen darauf; eine geöffnete Luke; eine Kapsel mit Greifern, die sich in seine Richtung abspulte; eine bekleidete Gestalt. Er hatte die Handelsschiffe noch nie erblickt – seit er hier lebte, war noch keines angekommen; nach dem, was sich die Menschen abends um die Kochtöpfe herum erzählten, war nicht ein einziger von einem Schiff entführt worden. Selbst jetzt noch klammerten sich diese lebhaften Erinnerungen in seinem Verstand fest, und sein Herz schlug heftig.
    Er schnappte in einem Augenblick heftigen Schmerzes nach Luft und sah, daß er seinen Fingernagel ganz abgerissen hatte. Er blutete. Ärgerlich steckte er den verletzten Finger in den Mund und saugte daran. Die deprimierenden Bilder nahmen ihren Fortlauf. Er war im Bauch des Schiffes gefangen. Ein Ort harter Lichter und metallischen Geruchs; ein Ort glatter, harter Oberflächen und glatter, harter Gesichter. Menschen mit kalten Augen, schwarz gekleidet, ergriffen ihn an den Armen und fesselten ihn auf einem gepolsterten Tisch. Sie schienen seine wütende Gegenwehr kaum wahrzunehmen. Während er kämpfte, packte einer von ihnen seinen Arm und stach ihn mit einer Nadel. Die
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