Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Im Land des Regengottes

Im Land des Regengottes

Titel: Im Land des Regengottes
Autoren: Gina Mayer
Vom Netzwerk:
wirklich vielversprechend. Ich stellte mir ein freundliches, recht faltiges Gesicht vor, schließlich war meine Mutter mit ihren siebenunddreißig Jahren auch nicht mehr die Jüngste. Vermutlich war er ein bisschen sonderbar, wie die meisten Missionare, die die Kohlstraße besuchten. Vielleicht aß er kein Fleisch wie der chinesische Missionar, der vor ein paar Monaten bei uns gewesen war. Oder er gurgelte jeden Morgen mit Salzwasser wie der langbärtige Missionar aus Borneo.
    An solche Eigenheiten konnte man sich aber gewöhnen. Wenn man dafür die Chance bekam, ein ganz neues Leben zu beginnen. Statt auf dem Kratzkopp Kartoffeln zu schälen und Wäsche zu plätten, würde ich endlich etwas von der Welt sehen. Und vielleicht konnte ich mir ja in Afrika sogar meinen Traum erfüllen und Lehrerin werden. Den Negerkindern war es doch bestimmt egal, ob man drei oder fünf Jahre oder vielleicht auch gar nicht aufs Lehrerinnenseminar gegangen war, solange man nur richtig lesen und schreiben konnte und sich einigermaßen in biblischer Geschichte und in Handarbeit auskannte.
    Je länger ich darüber nachdachte, desto besser gefiel mir der Gedanke, der Kohlstraße Adieu zu sagen. Nur wenn mir Bertram in den Sinn kam, fühlte ich ein tiefes Unbehagen.
    Ich hatte ihm noch nichts erzählt. Ich wollte es ihm auch nicht erzählen.
    Es ist ja auch noch gar nicht sicher, dachte ich. Noch hat Missionar Freudenreich nicht geantwortet, noch wissen wir nicht mit Bestimmtheit, ob wir auch wirklich reisen. Und auch wenn Bertram mich manchmal mit nachdenklichen Blicken bedachte und Sätze begann, die er dann nicht zu Ende brachte, bedeutete das noch lange nicht, dass er irgendetwas für mich empfand.
    Selbst wenn, dachte ich. Sobald Bertram einmal in Aachen wäre und dort studierte, würde er mich schneller vergessen, als die Kuh ihren Schwanz heben kann, wie Rosa immer sagte.
     
    Der Montag war der 1. Dezember. Am Sonntagabend hätte ich in meine Kammer über dem Stall ziehen müssen, aber nach dem Gottesdienst am Morgen ging meine Mutter zu Frau Künstner und teilte ihr mit demütiger Stimme und gesenktem Blick mit, dass ich nun doch nicht kommen würde. »Uns stehen unvorhergesehene Veränderungen ins Haus«, sagte sie. »Ich brauche Jette jetzt daheim. Es tut mir wirklich außerordentlich leid.«
    Frau Künstner verzog das Gesicht und schimpfte lange über die Unzuverlässigkeit der Leute im Allgemeinen und der Kohlstraßer im Besonderen, während meine Mutter neben ihr stand und auf ihre ausgetretenen Schuhe starrte. Als Frau Künstner endlich fertig war, versprach meine Mutter kleinlaut, mich auch in den nächsten Tagen auf den Hof zu schicken, damit ich Rosa in der Küche und bei der Wäsche helfen konnte. Das besänftigte Frau Künstner ein bisschen, weil sie dadurch das Geld für meinen Lohn sparte und mit einem warmen Mittagessen davonkam.
    Rudolf und seine angeblichen Übergriffe erwähnte meine Mutter mit keinem Wort. Das erleichterte mich. Und ärgerte mich gleichzeitig. Warum schwieg sie die Angelegenheit nun tot?
    »Ach, Jette. Wir kommen ihm ja doch nicht bei. Und am Ende fällt alles nur auf dich zurück«, seufzte sie, als ich sie auf dem Nachhauseweg darauf ansprach.
    Als ich am nächsten Morgen auf dem Kratzkopp ankam, erwartete mich Bertram schon am Tor.
    »Ist das wahr, was ich gehört habe?«, fragte er.
    »Was hast du denn gehört?«, fragte ich zurück.
    »Du fängst nun doch nicht hier an. Deine Mutter will sich wieder verheiraten.«
    Ich schnappte nach Luft. »Wer hat dir das denn erzählt?«
    »Stimmt es denn? Wer ist es? Einer von hier?«
    Uns stehen unvorhergesehene Veränderungen ins Haus, hatte meine Mutter zu Frau Künstner gesagt. Ob die Alte sich daraus den Rest zusammengereimt hatte? Oder hatte der Pastor ihr von unseren Plänen erzählt?
    »Jetzt sag schon«, drängte Bertram. »Oder hast du kein Vertrauen zu mir?«
    »Wir gehen vielleicht nach Afrika.« Nun war es heraus. Wie seltsam sich das anhörte. Als ob ich es mir gerade eben ausgedacht hätte.
    »Wie bitte? Machst du dich über mich lustig?«
    »Meine Mutter will einen Missionar heiraten. In Deutsch-Südwest.«
    »Das ist doch nicht dein Ernst.« Bertram holte seine Pfeife aus der Tasche und begann, sie zu stopfen. Seine Finger zitterten etwas, als er sie schließlich anzündete. »Das kann doch einfach nicht wahr sein. Ich dachte, du und ich …«
    Er verstummte. Ich seufzte. Wieder ein abgebrochener Satz, dessen Ende ich nie erfahren
Vom Netzwerk:

Weitere Kostenlose Bücher