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Im Land des Regengottes

Im Land des Regengottes

Titel: Im Land des Regengottes
Autoren: Gina Mayer
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Tenne fragte ich mich ununterbrochen, was Bertram mir hatte sagen wollen.
    Wenn ich könnte, würde ich … was? Dich heiraten?
    Unsinn, ich war erst sechzehn, viel zu jung, um über solche Dinge nachzudenken. Aber andererseits. Meine Freundin Trude war nur eineinhalb Jahre älter als ich und dennoch hatte sie sich vor ein paar Monaten mit Hans Schleifer verlobt. Im nächsten Sommer würden sie heiraten und Trude würde aus ihrem Elternhaus am unteren Ende der Kohlstraße auf den Schleifer-Hof ans obere Ende der Straße ziehen. Aus Trude Emmerling würde dann Frau Hans Schleifer.
    Wie sonderbar das klang. Aber Frau Bertram Strate klang noch viel sonderbarer.
    Es klang geradezu absurd. Was stellte ich mir überhaupt vor, fragte ich mich selbst. Bertram würde die Kohlstraße in Kürze wieder verlassen, um nach Aachen zu ziehen. Weil er das Realgymnasium mit so außerordentlich guten Leistungen abgeschlossen hatte, sollte er an der Technischen Hochschule Ingenieurwesen studieren.
    Ein Hochschulstudent und eine Dienstmagd, das passte schlecht zusammen. Um genau zu sein, passte es gar nicht zusammen.
     
    Meine Mutter war so schweigsam in diesen Tagen. Heute weiß ich, dass ihr Freudenreichs Brief im Kopf herumging. Die Entscheidung, die ihr Leben letztendlich beenden würde.
    Ich selbst hatte den Brief aus Afrika fast vergessen. Ich war viel zu beschäftigt damit, mit meinem ungerechten Schicksal zu hadern. Und darüber nachzugrübeln, ob es nicht doch noch einen Weg aufs Lehrerinnenseminar gäbe.
    Ich musste als Erstes versuchen, Pastor Krupka auf meine Seite zu bringen. Aber genau wie meine Mutter hielt der Pastor überhaupt nichts von Frauen, die nach einer Ausbildung und weltlichem Einfluss strebten, anstatt ihrem Mann die Strümpfe zu stopfen und ihren Kindern die Nase zu putzen.
    »Jetzt erscheint es dir vielleicht verlockend, vor einer Schulklasse zu stehen und Lob und Tadel zu verteilen«, hatte er mir vor zwei Jahren schon erklärt, als er von meinen Plänen erfahren hatte. »Aber ich kann dir versichern, dass du es bald müde sein wirst. Eine Frau strebt nach einer Familie, sie braucht eigene Kinder, die sie erziehen kann. Aber nach der langen Seminarzeit sind die meisten Mädchen zu alt zum Heiraten und Kinderkriegen. Da sitzen sie dann mit fremder Leute Nachkömmlingen und weinen sich die Augen nach eigenen Kindern aus.«
    Mein Vater hatte nur gelacht, als meine Mutter ihm von den Bedenken des Pastors erzählt hatte. »Paperlapapp! Es hat noch keinem geschadet, etwas zu lernen. Und jeder Mann möchte doch lieber eine kluge Frau als eine, die nicht bis drei zählen kann.«
    Mein Vater und der Pastor waren oft aneinandergeraten. Mein Vater hatte nämlich immer seinen eigenen Kopf gehabt und nicht nur das nachgeredet, was der Pastor ihm vorgab. Aber nun war er tot und das Geld, das er für meine Ausbildung zurückgelegt hatte, war ausgegeben.
    Nun war ich auf mich selbst gestellt. Ich musste den Pastor und meine Mutter dazu bringen, mich nicht auf den Kratzkopp zu schicken. Und ich hatte auch schon eine Idee, wie ich das erreichen konnte. Es war Bertram, der mich darauf gebracht hatte. Die Besorgnis in seiner Stimme, als ich Rudolf erwähnt hatte. Um mein Ziel zu erreichen, musste ich die Wahrheit nur ein kleines bisschen verbiegen.
    »Frau Künstner meint es ja gut mit mir«, teilte ich meiner Mutter zwei Tage vor meinem Umzug beim Abendessen mit. »Dennoch gibt es da etwas …« Ich unterbrach mich und spürte, wie ich vor lauter Nervosität rot wurde. Umso besser.
    »Was?« Meine Mutter gähnte. Sie hatte am Vortag bis tief in die Nacht genäht, um beim ersten Morgengrauen aufzustehen und weiterzuarbeiten. Auch heute würde sie nach dem Abendessen gleich wieder in der Nähstube verschwinden.
    »Nichts«, wich ich aus. »Es ist nicht so wichtig.« Das war die sicherste Taktik, um ihr Interesse zu wecken.
    Sofort blickte sie mich misstrauisch an. »Nun sag schon. Was gibt es?«
    »Rudolf«, sagte ich, scheinbar widerstrebend. »Er ist so …«, wieder unterbrach ich mich.
    »Welcher Rudolf?«
    »Der alte Knecht vom Kratzkopp.«
    »Was ist mit ihm? Nun lass dir doch nicht jedes Wort aus der Nase ziehen!«
    »Er sieht mich immer so an. Und redet seltsames Zeug. Und manchmal …« Bis jetzt befand ich mich noch auf dem Pfad der Wahrheit. Direkt daneben lag der Morast der Lüge. Es musste sein. Seid klug wie die Schlangen, hieß es schon in der Bibel. »Manchmal fasst er mich auch an.«
    Meine Mutter sah mich
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