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Im Land des Regengottes

Im Land des Regengottes

Titel: Im Land des Regengottes
Autoren: Gina Mayer
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würde.
    »Ich weiß es erst seit einigen Tagen«, erklärte ich. »Und die endgültige Entscheidung ist auch noch nicht gefallen. Also behalte die Angelegenheit bitte vorläufig für dich.« Aber wahrscheinlich wusste ohnehin längst die halbe Kohlstraße Bescheid.
    »Ich kann es einfach nicht glauben. Es ist der blanke Wahnsinn, was ihr da vorhabt. Afrika. Zwei Frauen, ohne Begleitung.«
    »Wir reisen in ein deutsches Schutzgebiet. Und wir werden auf einer Missionsstation leben. Pastor Krupka hat meiner Mutter jedenfalls empfohlen, den Antrag des Missionars anzunehmen.«
    »Krupka!« Bertram blies eine Wolke weißen Rauchs aus Mund und Nase. »Als ob der sich dort auskennt!«
    »Du warst doch auch noch nicht dort. Und besser als die Anstellung hier auf dem Kratzkopp ist es allemal.«
    »Wie du redest! Du weißt wirklich nicht, wovon du sprichst. Was für eine Idee, nach Südwestafrika zu ziehen, als wäre es Barmen oder Katernberg. Dort gibt es …« Bertram suchte nach Worten. »… Spinnen, so groß wie meine Hand. Und Raubtiere. Und dann die Wilden! Das sind Heiden, denen man nicht über den Weg trauen kann. Wie wollt ihr euch überhaupt mit ihnen verständigen?«
    Die Glocken der Donberger Kirche schlugen viermal. Sieben Uhr. »Ich muss los. Rosa erwartet mich in der Küche.«
    Ich wollte an ihm vorbei, aber er packte mich am Ärmel. »So warte doch, Henrietta.«
    Sein harter Griff schmerzte. Es gefiel mir nicht, dass er mich festhielt. Genauso wenig wie der Ton, in dem er mit mir sprach. »Was soll das? Lass mich los!«
    Er ließ die Hand wieder sinken. »Entschuldige. Es erscheint mir nur alles so … verrückt. Geh nicht nach Afrika, Henrietta. Bleib hier. Ich weiß, die Arbeit auf dem Hof ist kein Zuckerschlecken. Aber sie ist zumindest sicher.«
    »Sicher? Sicher ist hier nur eines – dass ich mich bucklig schufte, für karge Kost und ein hartes Bett und ein paar Groschen in der Woche! Du hast recht, ich habe keine Ahnung davon, wie die Dinge in Afrika aussehen. Aber ich weiß, was mich hier erwartet, und das reicht mir.« Ich drängte wieder an ihm vorbei und diesmal hielt er mich nicht auf.
    »Henrietta«, sagte er, als ich mich bereits ein Stück von ihm entfernt hatte. Seine Stimme klang auf einmal so flehend, dass ich stehen blieb, aber ich drehte mich nicht zu ihm um. »In ein paar Jahren ist mein Studium abgeschlossen«, fuhr er fort. »Dann bin ich mein eigener Herr und kann tun und lassen, was ich will. Wenn du auf mich warten würdest bis dahin, dann könnten wir … dann würde ich …«
    Zum Teufel! Nun reichte es mir aber wirklich mit seinen abgebrochenen Sätzen.
    »Was könnten wir?«, fragte ich drohend.
    »Wir könnten heiraten«, erwiderte er sanft. »Wenn du willst.«
     
    Das veränderte natürlich alles. Nun hatte nicht nur Mutter einen Heiratsantrag erhalten, sondern auch ich. Bertram hatte endlich ausgesprochen, was ich mir schon so lange erträumt hatte. Wir könnten heiraten. Wenn du willst.
    Vorausgesetzt, ich bliebe als Dienstmädchen auf dem Kratzkopp und wartete auf ihn. Wie lange dauerte ein Ingenieurstudium? Zwei, drei oder gar vier Jahre?
    Selbst wenn es fünf Jahre waren, was bedeutete das schon in Anbetracht eines langen Lebens an der Seite eines Mannes, den man liebte? Nichts.
    Warum also rief ich nicht sofort und, ohne lange zu überlegen, Ja? Natürlich will ich dich heiraten.
    Nach dem Heiratsantrag ihres Geliebten empfanden die Heldinnen in den Romanen aus der Leihbibliothek nichts als die allergrößte Freude. Aber ich empfand keine Freude, sondern Verwirrung.
    Wenn ich meiner Mutter erzählte, dass Bertram mir einen Antrag gemacht hatte und dass ich deswegen nun doch auf dem Kratzkopp bleiben wollte, dann konnte sie das Versprechen, das sie Freudenreich gegeben hatte, wieder rückgängig machen. Noch war es nicht zu spät dafür. Aber was, wenn der Heiratsantrag des Missionars aus Afrika nun wirklich ein Fingerzeig Gottes war, der meinem Leben eine neue Richtung geben sollte? Durfte ich mich dem verweigern? Nein, dachte ich, und diese Erkenntnis erfüllte mich mit einer großen Erleichterung. Ich musste nach Afrika gehen. Das war der Weg, den Gott meiner Mutter und mir bestimmt hatte.
     
    »Du spinnst doch«, sagte Bertram, als wir uns abends wieder am Tor trafen und ich ihm meinen Entschluss mitteilte. »Ein Fingerzeig Gottes!« Er spuckte in weitem Bogen in eine Pfütze auf dem Weg.
    »Du wirst doch Ingenieur«, fuhr ich fort, als hätte er nichts gesagt.
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