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Im Dunkeln der Tod

Titel: Im Dunkeln der Tod
Autoren: Mari Jungstedt
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PROLOG
    Zwei Sekunden. Mehr war nicht nötig, um ihn zu zerstören. Um sein Leben in Fetzen zu reißen. Zwei jämmerliche Sekunden.
    Die Gedanken, die nachts kreuz und quer durch seinen Kopf jagten, wollten ihn nicht loslassen. Seit Wochen schon hielten sie ihn wach. Erst im Grenzland zwischen Nacht und Morgengrauen glitt er endlich in einen befreienden Schlaf und wurde für einige Stunden verschont. Um erneut in dieser Hölle aufzuwachen. Dem einsamen, verborgenen Inferno, das hinter seiner beherrschten Fassade tobte. Es mit jemandem zu teilen war unmöglich.
    Während dieser zwei Sekunden war er kopfüber in den schwärzesten Abgrund gestürzt. Er hatte nicht geahnt, dass die Wahrheit so unbarmherzig sein konnte.
    Erst nach einiger Zeit begriff er, was er zu tun hatte. Er würde dazu gezwungen sein, die Sache allein anzugehen. Es gab keinen Weg zurück, keine Hintertür, aus der er herausschlüpfen konnte, um vor der Welt und sich selbst so zu tun, als sei nichts passiert.
     
    Alles hatte damit begonnen, dass er etwas erfahren hatte und nicht wusste, was er damit anfangen sollte. Er trug sein Wissen eine Zeit lang mit sich herum. Es juckte, kratzte und störte ihn wie eine Wunde, die immer wieder aufbricht und nicht heilen will.
    Vielleicht hätte er es nach und nach vergessen. Sich selbst eingeredet, es sei das Beste, die Sache ruhen zu lassen.
    Aber die Neugier hatte ihn dazu getrieben, weiterzuforschen, mehr in Erfahrung zu bringen. Auch wenn das wehtat.
    Der schicksalhafte Tag begann, auch wenn er das nicht von Anfang an begriff. Vielleicht hatte sein Körper die Gefahr instinktiv gespürt. Vielleicht auch nicht.
    Er war allein zu Hause. Große Teile der Nacht hatte er schlaflos verbracht, mit denselben Gedanken beschäftigt wie während der letzten Wochen. Es bedurfte einer Kraftanstrengung, aus dem Bett aufzustehen, als er hörte, wie draußen vor dem Fenster der Tag erwachte.
    Appetit konnte er nicht aufbringen, er konnte sich gerade zu einer Tasse Tee zwingen. Er saß nur am Küchentisch und starrte auf das graue Wetter und die Hochhäuser gegenüber. Die Frustration trieb ihn dann schließlich aus der Wohnung.
    Inzwischen war es schon später Vormittag, aber im November wurde es nie richtig hell. Der Schnee lag schmutzig braun auf dem Bürgersteig, und die Menschen eilten durch den Matsch, ohne einander in die Augen zu blicken. Die Kälte war scharf und feucht und erlaubte kein lässiges Flanieren.
    Er beschloss, wieder zu dieser Stelle zu fahren, ohne dass er einen wirklichen Grund hatte. Er folgte einfach einer Eingebung. Wenn er gewusst hätte, was passieren würde, hätte er es nicht getan. Aber es war wie vorausbestimmt.
    Als er die Straße erreichte, schloss der Mann gerade die Tür ab. Ungesehen folgte er ihm zur Bushaltestelle. Der Bus kam gleich darauf. Er war voll besetzt, und ihre Schultern streiften einander fast, als sie sich in den Mittelgang drängten.
    Vor dem Warenhaus NK stieg der Mann aus und bahnte sich zielstrebig einen Weg durch die Horden aus Samstagsflaneuren. Mit schnellen Schritten lief er in Richtung Innenstadt weiter. Er trug einen eleganten Wollmantel, den Schal lässig über die Schultern geworfen, und rauchte dabei eine Zigarette. Plötzlich verschwand er in einer Querstraße.
    Diesen Weg hatte der Mann noch nie genommen. Sein Puls wurde schneller. Er hielt sich zurück, blieb in gebührender Entfernung, wechselte sicherheitshalber die Straßenseite. Aber trotzdem hatte er alles im Blick.
    Plötzlich verlor er den anderen aus den Augen. Rasch überquerte er die Straße. Dort gab es eine Metalltür, die so unansehnlich war, dass sie mit der heruntergekommenen Fassade verschmolz. Verstohlen sah er sich in beiden Richtungen um. Hier musste der Mann verschwunden sein. Er beschloss, ihm zu folgen. Dass die Konsequenzen tödlich sein würden, wusste er nicht, als er auf die Klinke drückte.
    Drinnen war es fast ganz dunkel, eine trübe rötliche Neonröhre an der Decke gab notdürftiges Licht. Die Wände waren schwarz gestrichen. Eine steile Treppe, deren Stufen mit winzigen Glühbirnen besetzt waren, führte ins Kellergeschoss. Kein Laut war zu hören. Zögernd ging er nach unten und landete in einem langen, öden Gang. Der Gang war schwach beleuchtet, und er konnte im Dunkeln weiter vorn Menschen ahnen, die sich bewegten.
    Es war helllichter Tag, aber hier war davon nichts zu bemerken. Die Welt draußen existierte nicht. An diesem Ort galten andere Gesetze.
    Endlose Gänge
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