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Im Land des Regengottes

Im Land des Regengottes

Titel: Im Land des Regengottes
Autoren: Gina Mayer
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Handkoffer«, hatte sie beim Packen erklärt. »Was wir bei uns tragen, kann auf der Reise nicht verloren gehen.«
    Die wichtigsten Dinge – das bedeutete in meinem Falle: alles. Ich besaß ja kaum Kleider. Meine Bibel, das Gesangbuch, das Kreuz, das ich zur Konfirmation bekommen hatte. Eine Fotografie von meinem Vater. Ein Poesiealbum, das mir Trude zum Abschied geschenkt hatte. Das Glück mit seinem goldnen Schein mag immer dein Begleiter sein, und wo die Rosen sprießen, mag Liebe dich begrüßen, hatte sie auf die erste Seite geschrieben. Deine Freundin Trude, die dich nie vergessen wird.
    Die übrigen Seiten waren noch leer. Wer sie wohl füllen würde? Hottentottenmädchen in der Hottentottensprache?
    Meine paar Habseligkeiten hatten den Koffer gerade einmal zur Hälfte gefüllt. Aber danach hatte ihn meine Mutter mit Hausrat vollgestopft. Die handbestickten Tischdecken, das Teeservice mit dem Zwiebelmuster, in Seidenpapier verpackt, die vergilbten Stores, die in der Lehrerwohnung im Elternschlafzimmer gehangen hatten, sogar unsere gusseiserne Bratpfanne. Nur das Nötigste!
    »Willst du die wirklich bis nach Afrika schleppen?«, fragte ich ungläubig. »Herr Freudenreich wird doch wohl eine Pfanne haben.«
    Meine Mutter zuckte nur mit den Schultern. Sicher ist sicher, hieß das. Die Bratpfanne kommt mit, auch wenn uns auf dem Weg die Hände abfallen.
    »Gleich sind wir auf dem Schiff«, sagte sie jetzt und reckte den Hals, ob nicht endlich die Kette vor dem Fallreep gelöst würde, damit die Passagiere an Bord gehen konnten. Die Regentropfen waren so fein wie Stecknadelköpfe und stachen uns ins Gesicht.
    Oben an Deck standen ein paar Matrosen und blickten auf uns herab. Sie waren zu weit weg, um ihre Gesichter erkennen zu können, aber mir kam es so vor, als ob sie spöttisch grinsten. Im Gegensatz zu den Menschen am Kai kannten sie Afrika und das, was uns dort erwartete. Die werden Augen machen, sagten sie wahrscheinlich gerade. Die werden sich noch wundern.
    Es dauerte noch über eine Stunde, bis das Fallreep endlich geöffnet wurde und die Menschenmasse sich in Bewegung setzte wie ein zäher Brei. Irgendwann wurden wir von den Passagieren hinter uns auf die hölzerne Treppe gedrängt und von dort an Deck gedrückt. Ein kurzer Blick zurück zum Kai, wo die Anverwandten, Freunde und Bekannten der anderen Reisenden winkten und jubelten, als hätte das Schiff bereits abgelegt.
    Wir hatten niemanden, der uns zuwinkte. Was hätte ich darum gegeben, Bertram jetzt zu sehen. Oder irgendein anderes vertrautes Gesicht. Trude oder meinetwegen auch Pastor Krupka. Aber natürlich hatte keiner von ihnen die weite Reise nach Hamburg machen können, nur um uns zum Schiff zu bringen.
    Ein Matrose zeigte uns unsere Kabine. »Was wollen Sie denn mit dem Gepäck hier?«, fragte er. »Dafür ist kein Platz. Das muss nach achtern.«
    Ein vernünftiger Hinweis, das zeigte ein kurzer Blick in das winzige Kabuff, in dem wir die nächsten Wochen verbringen sollten. Zwei schmale Pritschen übereinander, ein kleiner Schrank, ein schmaler Schreibtisch. Im Freiraum dazwischen konnte man sich gerade einmal umdrehen.
    Bevor wir unsere Taschen in den Lagerraum bringen konnten, mussten wir die Kleider herausnehmen, die wir für die Reise benötigten. Meine Mutter hatte Glück, ihre Sachen lagen obenauf, meine dagegen waren tief unter der Pfanne und den Stores vergraben. Ich zog heraus, was ich auf die Schnelle erwischte, und reichte es meiner Mutter in die Kabine: zwei Blusen, Unterwäsche, Strumpfhalter, Wollstrümpfe, mein Nachthemd, einen Unterrock. Hinter mir hatten sich inzwischen weitere Passagiere aufgereiht, die ungeduldig darauf warteten, dass wir den Weg freigaben. Ich wühlte nach meinem zweiten Rock und hielt plötzlich die Bratpfanne in den Händen.
    Der Matrose reckte neugierig den Hals.
    Ich stopfte die Pfanne wieder zurück und fischte vergeblich weiter.
    »Hier können Sie nicht stehen bleiben. Es kommt ja keiner mehr durch«, sagte der Matrose.
    Ich wollte die Tasche zuklappen, aber die Stores klemmten in der Öffnung. Ich zerrte, riss und stopfte. Bis endlich wieder alles unter Verschluss war, war ich nass geschwitzt. Und wütend. Auf den Matrosen, der mit seinen Fingern gegen die Holzvertäfelung trommelte. Auf die Passagiere, die mit den Füßen scharrten. Auf meine Mutter, vor allem auf meine Mutter, die den ganzen nutzlosen Kram in meinen Koffer gepackt hatte. Eine Bratpfanne nach Afrika zu schleppen – wie konnte
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