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Maigret - 66 - Maigret in Künstlerkreisen

Maigret - 66 - Maigret in Künstlerkreisen

Titel: Maigret - 66 - Maigret in Künstlerkreisen
Autoren: Georges Simenon
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    »Pardon, Monsieur …«
    »Schon gut …«
    Seit er an der Ecke Boulevard Richard-Lenoir und Boulevard Voltaire zugestiegen war, hatte die Dame bestimmt schon dreimal den Halt verloren, ihn jedes Mal mit ihrer spitzen Schulter gerammt, wobei ihr Einkaufsnetz gegen seinen Schenkel schlug.
    Sie entschuldigte sich nur pro forma, offenbar war ihr die Sache weder peinlich, noch schien es ihr wirklich leidzutun, denn gleich darauf blickte sie wieder ruhig und entschlossen geradeaus.
    Maigret nahm es ihr nicht übel. Es hatte geradezu den Anschein, als mache es ihm Spaß, angerempelt zu werden. An diesem Morgen schien er nichts richtig ernst zu nehmen.
    Schon allein die Tatsache, dass er einen Bus mit offener Plattform erwischt hatte, stimmte ihn heiter. Diese Busse sah man nämlich immer seltener, da sie nach und nach aus dem Verkehr gezogen wurden. Bald würde Maigret seine Pfeife ausklopfen müssen, bevor er eines der riesigen, geschlossenen modernen Fahrzeuge bestieg, in denen man sich wie ein Gefangener fühlt.
    Diese Autobusse mit offener Plattform gab es schon vor vierzig Jahren, als Maigret nach Paris gezogen war. Am Anfang konnte er nicht genug davon bekommen, mit der Linie Madeleine-Bastille die großen Boulevards entlangzufahren. Das war eine wahre Entdeckung gewesen! Ja, und dann die Terrassen! Immer wieder genoss er es, auf einer Terrasse zu sitzen und bei einem Bier das stets wechselnde Schauspiel auf der Straße zu verfolgen.
    Und noch etwas hatte er in seinem ersten Pariser Jahr als beglückend empfunden: Schon ab Ende Februar konnte man ohne Überzieher durch die Stadt gehen, zwar nicht gerade jeden Tag, aber doch hin und wieder. Und an manchen Avenuen brachen bereits die Knospen auf, am Boulevard Saint-Germain früher als anderswo.
    All diese Erinnerungen stiegen ganz unvermittelt in ihm auf, denn auch in diesem Jahr war der Frühling zeitig angebrochen, und am Morgen hatte Maigret seinen Überzieher zu Hause gelassen.
    Er fühlte sich leicht, wie die frische Frühlingsluft. Alles erstrahlte in hellen, fröhlichen Farben: die Boutiquen, die Märkte, die Kleider der Frauen.
    Er dachte an nichts Bestimmtes. Nur zusammenhanglose Gedankenfetzen schossen ihm durch den Kopf. Um zehn Uhr würde seine Frau ihre dritte Fahrstunde nehmen.
    Das hätte er sich auch nicht träumen lassen! Wie sie zu diesem Entschluss gekommen waren, vermochte er nicht mehr zu sagen. Als junger Beamter hatte Maigret sich einen eigenen Wagen schlicht nicht leisten können. Und später brauchte er keinen mehr. Und jetzt war es zu spät, um Auto fahren zu lernen.
    Außerdem war er mit seinen Gedanken immer woanders, würde sich nicht auf den Verkehr konzentrieren, Ampeln übersehen und die Bremse mit dem Gaspedal verwechseln.
    Natürlich wäre es angenehm, nach Meung-sur-Loire hinauszufahren und den Sonntag in ihrem kleinen Häuschen zu verbringen …
    Und dann stand ihr Entschluss ganz plötzlich fest. Erst hatte seine Frau lachend abgewehrt:
    »Aber das ist doch ausgeschlossen … In meinem Alter noch Auto fahren lernen …«
    »Du wirst bestimmt eine sehr gute Autofahrerin …«
    Inzwischen war sie daran, ihre dritte Fahrstunde zu absolvieren, und war ebenso eifrig bei der Sache wie ein junges Mädchen, das kurz vor dem Abitur steht.
    »Wie ist es denn gelaufen?«
    »Der Lehrer war sehr geduldig …«
    Die Frau, die im Bus neben ihm stand, konnte bestimmt nicht Auto fahren. Warum ging sie eigentlich am Boulevard Voltaire einkaufen, wo sie doch in einem anderen Viertel wohnte? Das waren wieder einmal diese kleinen Rätsel des Alltags, an denen man irgendwie hängenblieb. Sie trug einen Hut, eine Seltenheit heutzutage, vor allem am Morgen. Ihr Einkaufsnetz enthielt ein Huhn, Butter, Eier, Lauch und Sellerie …
    Ganz unten befand sich etwas Hartes, das ihm bei jeder Unebenheit, die der Bus passierte, gegen den Schenkel schlug, sehr wahrscheinlich Kartoffeln …
    Warum machte sie eine so lange Busfahrt, nur um ganz gewöhnliche Lebensmittel zu kaufen, die es in jedem Stadtviertel gibt? Vielleicht hatte sie ja früher am Boulevard Voltaire gewohnt und kannte noch bestimmte Markthändler, denen sie treu blieb.
    Der junge Mann rechts von ihm rauchte eine zu kurze Pfeife mit einem zu schweren Kopf, so dass er die Zähne zusammenbeißen musste. Junge Leute kaufen sich fast immer zu kurze und zu dicke Pfeifen!
    Die Plattform war überfüllt. Die Frau hätte sich einen Sitzplatz im Bus suchen sollen. Aha! In einer Fischhandlung in der Rue du
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