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Im Land des Regengottes

Im Land des Regengottes

Titel: Im Land des Regengottes
Autoren: Gina Mayer
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auffing, winkte sie mir, dass ich zu ihnen herüberkäme. Aber ich schüttelte nur den Kopf. Ich wollte jetzt nicht mit ihr reden. Ich würde morgen bei ihr vorbeigehen, um ihr meine Neujahrswünsche zu überbringen.
    Die Glocken der Donberger Kirche schlugen neun Mal. In drei Stunden wäre das alte Jahrhundert vorbei. Dann begann etwas Neues. Vor allem für uns.
    Meine Mutter hatte heute den ganzen Tag gebacken, denn morgen würden sich die Nachbarn bei uns die Klinke in die Hand geben. Die Kohlstraßer würden den Neujahrstag nutzen, um uns alles Gute für unsere Reise zu wünschen und bei dieser Gelegenheit eine Tasse Kaffee zu trinken und Schmalzgebackenes zu essen.
    Der Mond hatte sich inzwischen hinter einer großen Wolke versteckt. Meine Füße und Hände waren eisig, die Kälte kroch aus den erstarrten Gliedmaßen zur Körpermitte. Ich wäre gerne nach Hause gegangen, aber meine Mutter unterhielt sich gerade mit einem der Ältesten.
    »Eine garstige Kälte, oder?« Das war Bertrams Stimme direkt hinter mir. Ich fuhr herum.
    »Du bist hier! Ich hab euch in der Kirche gar nicht gesehen.«
    »Die anderen sind auch nach Elberfeld. Aber mir war eher nach Kohlstraße.« Er grinste und zog an seiner Pfeife. Der Pfeifenkopf glühte feurig rot auf, ich hätte ihn ihm am liebsten aus der Hand genommen, um mich daran zu wärmen.
    In den letzten Wochen hatte Bertram seine Meinung über Afrika gründlich geändert. Er gab es nicht zu, aber ich wusste genau, dass ihn der Gedanke inzwischen reizte, nach seiner Ausbildung ebenfalls nach Südwest zu gehen. Für einen Ingenieur gab es im deutschen Schutzgebiet eine Fülle an Aufgaben und Herausforderungen. Und natürlich malte ich ihm seine beruflichen Möglichkeiten in leuchtenden Farben.
    »Überleg doch nur einmal, welche Chancen sich dir dort bieten! Eisenbahnen, Straßen, Brücken und Maschinen, alles muss erst gebaut und in Betrieb genommen werden«, erklärte ich ihm. »Hier in Deutschland musst du dich erst mühevoll von unten nach oben arbeiten, bevor du wirklich etwas ausrichten kannst. Dort wärst du von Anfang an dein eigener Herr.«
    Die Vorstellung war natürlich traumhaft: ein gemeinsames Leben mit Bertram in Südwestafrika. Ein Häuschen am Meer. Ein großer Garten mit Blumen und Gemüse. Hühner, Gänse und ein paar Schweine. Vielleicht konnte ich ja sogar nebenher noch eine kleine Dorfschule betreiben, in der ich den Negerkindern Lesen, Schreiben und Rechnen beibrachte. Aber davon erzählte ich Bertram noch nichts.
    »Ich habe etwas für dich«, sagte Bertram jetzt zu mir und zog mich dabei ein Stück zur Seite, weg von meiner Mutter und den Nachbarn. Er holte ein kleines Kästchen aus der Tasche.
    Als ich es öffnete, fand ich darin einen silbernen Ring auf rotem Samt.
    »Meiner Verlobten«, sagte Bertram feierlich.
    Ich sah ihn erschrocken an. »Aber Bertram. Das ist …«
    »Was? Gefällt er dir nicht?« Er nahm meine eiskalte Linke in seine und steckte mir den Ring an. »Und?«
    »Danke«, stammelte ich. »Aber … wissen deine Eltern davon? Und meine Mutter?« Ich jedenfalls hatte die Sache bislang für mich behalten. Ich war mir nicht sicher, wie meine Mutter zu Bertram stand. Sie war ganz bestimmt der Meinung, dass es viel zu früh sei, mich auf einen Mann einzulassen.
    »Das ist doch egal, was die anderen dazu sagen.« Er warf einen schnellen Blick über seine Schulter. Meine Mutter war immer noch in die Unterhaltung mit den Ältesten vertieft. Niemand achtete auf uns. Er beugte sich nach vorn und drückte mir einen Kuss auf die Hand. »Auf Afrika«, flüsterte er mir dann zu.
    Ich drückte seine Hand. Sie fühlte sich genauso eiskalt an wie meine eigene.
    »Auf Afrika«, wiederholte ich leise.
    Bertram hatte recht. Es war vollkommen egal, was die anderen sagten oder dachten. Gemeinsam würden wir alles meistern.
     
    Der Nordwestwind blähte die schwarz-weiß-rote Reichsflagge am Mast der Gertrud Woermann auf, er stemmte sich uns entgegen – meiner Mutter, mir und all den anderen Menschen, die am Kai darauf warteten, endlich an Bord zu gehen.
    Jede Windböe war mit eisigen Regentropfen versetzt. Die Gesichter glänzten nass wie von Tränen. Mein Gesicht brannte vor Kälte. Meine Hände brannten vom Gewicht unseres Gepäcks. Die zwei Truhenkoffer hatten wir aufgegeben, aber die beiden schweren Reisetaschen, die meine Mutter als Handgepäck bezeichnete, mussten wir nun bis zur Anlegestelle schleppen.
    »Die wichtigsten Dinge kommen in die
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