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Alle Menschen werden Schwestern

Alle Menschen werden Schwestern

Titel: Alle Menschen werden Schwestern
Autoren: Luise F Pusch
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Feministische Linguistik, andere feministische Disziplinen und Maskulinguistik — ein Methodenvergleich

0 Vorbemerkung

    Bevor ich die Unterschiede zwischen meiner Disziplin und anderen feministischen Wissenschaften beschreibe, muß ich zunächst die Unterschiede zwischen herkömmlicher und feministischer Linguistik benennen. Unter den vielen Teildisziplinen der Linguistik habe ich mir als Arbeitsgebiet die (im »Zeitalter der Kommunikation« vielgeschmähte) sogenannte Systemlinguistik ausgewählt. Nur auf diese beziehen sich denn auch die folgenden Ausführungen. Die feministische Gesprächsanalyse, Spezialgebiet z. B. meiner Kolleginnen Senta Trömel-Plötz und Fritjof Werner 1 , arbeitet mit ganz anderen (im wesentlichen: sozialwissenschaftlichen) Methoden.

1 Gegenstand und Methoden der Systemlinguistik

    Gegenstand, Explanandum der Systemlinguistik ist die »muttersprachliche Kompetenz«, d. h. die Fähigkeit, grammatisch korrekte Sätze als solche zu identifizieren. Es wird angenommen, daß jede Person ein grammatisches Regelsystem ihrer Muttersprache internalisiert hat, das sie zu solchen Leistungen befähigt, ihr aber nahezu vollständig unbewußt oder besser »außerbewußt« 2 ist. Aufgabe der Linguistik ist es, dieses Regelsystem bewußtzumachen, um es zu beschreiben (nicht: zu bewerten).
    Wie kann nun das Außerbewußte bewußtgemacht werden? Jede deutsche Sprecherin beherrscht z.B. den Unterschied zwischen aber und sondern, aber kaum eine wird einer Engländerin (die in ihrer Sprache als Entsprechung ja nur ein einziges Wort, but, hat) den Unterschied im Gebrauch erklären können. Oder den Unterschied zwischen erst und nur (engl, only), kennen und wissen (engl. to know), aus Wut und vor Wut - und zahllose andere Gesetzmäßigkeiten der deutschen Sprache.
    Die Norm, die Regel, wird als solche nur erfahrbar, erkennbar und damit beschreibbar, wenn wir ihrem Gegenbild begegnen, wenn z.B. ein Fehler gemacht wird. Wenn ein Kind sagt, ich singte, oder eine Engländerin schreibt: Der Roman beinhalt folgendes — so wird mir dadurch bewußt, daß singen ein unregelmäßiges und beinhalten (anders als halten) ein regelmäßiges Verb ist.
    Da mir nicht ständig solche erkenntnisauslösenden Fehlleistungen von außen beschert werden, bin ich als Linguistin gezwungen, künstlich selbst welche zu produzieren. Und es sollten nicht irgendwelche Regelverstöße sein, sondern gezielte, sinnreiche.
    Die Einheiten der Systemlinguistik sind grammatische Gegenstände wie Substantive, Pronomina, Verben, Adjektive, Konjunktionen, Partikel, komplexe Sätze usw. mit ihren vielfältigen Subklassen. Um die Personen, Dinge und Sachverhalte, auf die sich einige dieser grammatischen Gegenstände beziehen, kümmert sich die Systemlinguistik nur in zweiter Linie und nur mit dem Interesse, grammatische Erkenntnisse zu gewinnen.
    Was mir an der Systemlinguistik so gut gefällt, ist einerseits die mit dem Aufdecken außerbewußter Regeln verbundene intellektuelle Herausforderung, Faszination und Befriedigung, andererseits die materielle und organisatorische Unaufwendigkeit. Den Untersuchungsgegenstand — mein Sprachgefühl bzw. meine »muttersprachliche Kompetenz« — trage ich sozusagen immer bei mir. Auch braucht frau für systemlinguistisches Arbeiten häufig nicht einmal Sekundärliteratur (weil es für viele Fragen keine gibt), sondern nur Papier, Bleistift — und linguistisches Training. Letzteres wird allerdings von den meisten Studentinnen als äußerst mühsam, langweilig und trocken empfunden. Das liegt nach meiner Einschätzung weniger an der Linguistik oder gar der Sprache als an der Art, wie Linguistik von vielen ihrer männlichen Verwalter an den Universitäten gelehrt wird.

2 Gegenstand und Methoden der feministischen Systemlinguistik

    Gegenstand der feministischen Systemlinguistik sind die Patriarchalismen in den diversen Sprachsystemen, ob es nun das Deutsche, Französische, Englische, Chinesische oder sonst eine Sprache ist. Es geht um die Aufdeckung, Bewußtmachung und schließliche Abschaffung der zahllosen »geronnenen Sexismen« in unseren Sprachen.
    Die Methode ist teils ähnlich, teils anders als in der herkömmlichen Systemlinguistik. Als feministische Wissenschaft ist die feministische Systemlinguistik »parteilich«, d. h., sie bewertet und kritisiert ihre Befunde, begnügt sich nicht mit der Beschreibung, sondern zielt auf Änderung des Systems in Richtung auf eine gründliche Entpatrifizierung und
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