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Im Land des Regengottes

Im Land des Regengottes

Titel: Im Land des Regengottes
Autoren: Gina Mayer
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Stille unserer Schlafkammer. Ich hörte meine Mutter flach und schnell atmen. Von Gott kam keine Antwort. Er war wohl wieder einmal mit wichtigeren Dingen beschäftigt.

 
2
     
    Am 1. Dezember 1899 sollte mein Leben als Dienstmagd auf den Hof am Kratzkopp beginnen. »Das ist sehr freundlich von Frau Künstner«, fand Rosa. »Im Dezember sind die Rüben gehäckselt, die Felder gepflügt und der Winterweizen ausgebracht. Dann beginnt die faule Zeit.« Sie verzog das Gesicht. Wenn es nach ihr gegangen wäre, wäre ich bestimmt noch im Oktober auf den Hof gezerrt und zur Arbeit getrieben worden. Aber es ging nicht nach Rosa, sondern nach Pastor Krupka, der Frau Künstner empfohlen hatte, mich in der ruhigen Adventszeit aufzunehmen. »Damit das Mädchen ein bisschen Zeit hat, sich an die Abläufe zu gewöhnen.«
    Das wusste ich vom Pastor selbst. Er hatte uns nämlich am Sonntagnachmittag besucht. Nachdem er lange mit Mutter geredet hatte, trat er zu mir, legte mir seine Hand auf die Schulter und sah mich ernst und durchdringend an. Sein mächtiger Kinnbart zitterte leicht, als wäre ihm kalt. Es war ein bisschen wie damals, als Vater gestorben war. »Es ist das Beste für dich«, erklärte er. »Die Witwe Künstner ist eine fromme Frau, die sich gut um dich kümmern wird. Und für deine Mutter ist es eine große Erleichterung.«
    Noch war es nicht Dezember, noch wohnte ich mit Mutter in unserem kleinen Häuschen. Aber Frau Künstner ließ mich jetzt schon jeden Tag antanzen, um bei der Ernte, in der Küche oder im Stall zu helfen. Manchmal gab sie mir hinterher ein paar Groschen dafür, meistens nicht.
    Heute sollte ich Seile aus langen Roggenhalmen knüpfen. Bertram half mir dabei, obwohl es eigentlich eine Frauenarbeit war.
    »Du hättest es schlechter treffen können«, sagte er. Er rollte ein fertiges Seil zu einem Knäuel, legte es zu den anderen Bündeln und griff nach neuen Halmen. Er arbeitete und rauchte zugleich. Aus seinem Mundwinkel quollen in regelmäßigen Abständen weißgelbe Rauchwolken, als wäre er eine Maschine, die Dampf abließ. »Immerhin behandeln sie die Mädchen hier anständig.«
    »Wenn man einmal von Rudolf absieht«, murmelte ich halblaut.
    »Was ist mit Rudolf?«, fragte Bertram sofort. »Hat er dir etwas getan?«
    »Nein.« Rudolf guckte nur immer so komisch und lachte sein Ziegenbocklachen, aber das konnte man ihm schwerlich zum Vorwurf machen.
    »Wenn er dir zu nahe tritt, sagst du mir Bescheid, hörst du?«
    Diese Besorgnis in Bertrams Stimme. Ich musste dreimal tief ein- und wieder ausatmen, bevor ich mich mutig genug fühlte, ihm die nächste Frage zu stellen. »Warum tust du das, Bertram? Warum setzt du dich so für mich ein?«
    Er zog nachdenklich an seiner Pfeife. »Weil das alles nicht richtig ist«, sagte er dann. »Du bist keine Dienstmagd, Henrietta.«
    Henrietta. Alle Welt rief mich Jette, nur Bertram nannte mich Henrietta. Das gefiel mir. Jette, das klang wirklich nach einem Dienstmädchen, Henrietta hörte sich dagegen nach einem der Mädchen aus den Romanen aus der Leihbibliothek an. Eine junge, schöne Heldin, die sich allen Schwierigkeiten und Widrigkeiten zum Trotz durchs Leben schlägt und am Ende der Reise erwartet sie das Glück. Meist in Gestalt eines liebenden, treu sorgenden Mannes.
    Bloß schade, dass mein Leben kein Roman war.
    »Geld regiert die Welt«, sagte ich.
    Bertram und ich hoben gleichzeitig den Kopf und sahen einander an. »Wenn ich könnte, würde ich …«, begann Bertram. Dann unterbrach er sich mitten im Satz, nahm seine Pfeife aus dem Mund und starrte in den glühenden Pfeifenkopf, als habe er so etwas noch nie zuvor gesehen.
    Was würdest du? Ich wartete darauf, dass er weitersprach, aber er nickte nur, als wüssten wir beide ganz genau, was er meinte.
     
    Bertram Strate.
    Ich kannte ihn, seit wir als kleine Kinder zusammen Fangen und Verstecken gespielt hatten. Dann war er aufs Gymnasium nach Barmen gegangen und ich auf die Volksschule nach Elberfeld. Als wir uns im letzten Sommer auf dem Kratzkopp wiedergetroffen hatten, sah Bertram aus wie ein griechischer Gott und ich wie ein Indianer mit blonden Zöpfen. Ich hatte mir nämlich bei der Heuernte das Gesicht und die Arme verbrannt.
    Er erkannte mich zuerst nicht wieder. »Die kleine Jette«, sagte er lachend, als ich mich ihm vorstellte. Danach nannte er mich nur noch Henrietta. »Das passt viel besser zu dir«, erklärte er, woraufhin ich noch röter wurde.
    Nach dem Nachmittag auf der
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