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Der schwarze Schwan von Scheckenstein

Der schwarze Schwan von Scheckenstein

Titel: Der schwarze Schwan von Scheckenstein
Autoren: Oliver Hassencamp
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Der Duftangriff
     
    „Ach, du grüner Heinrich! Die Burg stinkt wie eine Parfümfabrik.“ Im Schlafanzug, ohne Brille, stand Mücke auf dem spärlich erleuchteten Korridor des Nordflügels und schnupperte in seinen Schrank.
    „Ich bin von der Giftwolke aufgewacht!“ pflichtete ihm Musterschüler Strehlau bei und strich auf Zentimeterabstand, wie ein Hund, mit der Nase über seine Kleider. „Das dauert Wochen, bis sich unser Eigenmief wieder durchgesetzt hat.“
    „Optimist“, meinte Pummel. „Da mußt du deine Klamotten schon in den Regen hängen.“
    Draußen im Burghof prasselten erbsengroße Tropfen auf das Pflaster.
    „Mit der Sprühkanone in unsere Schränke ballern und dann verduften – typischer Mädchenstreich!“ Witzbold Klaus war aus dem Westflügel herübergekommen.
    „Und wir haben nichts gemerkt“, klagte der kleine Kuno.
    „Abwarten!“ Eugen grinste ihn an. „Weit können sie bei dem Sauwetter nicht sein.“
    „Genau! Die stehen irgendwo unter.“ Unbemerkt hatte sich Schulkapitän Ottokar dazugesellt. Er wandte sich an Pummel: „Geh runter zum Steg, bevor sie unsere Boote mitnehmen! Die sind sicher rübergerudert.“
    Pummel nickte. „Dann werde ich ihre Schiffchen mal verschwinden lassen.“
    „Wir kämmen inzwischen den Laden hier durch“, fügte Mücke hinzu.
    „Hoffentlich haben wir keinen Rückenwind!“ alberte Klaus. „Uns riecht man ja auf einen Kilometer.“
    Die Ritter, wie sich die Jungen aus der Schule auf der Burg Schreckenstein nannten, stiegen in ihre Trainingsanzüge, legten leise Sohlen an, nahmen Sprungseil und Taschenlampe mit und machten sich in kleinen Trupps auf die Suche. Sie gingen gemächlich vor, wie Feuerwehrleute bei einer Routineübung.
    Der Duftangriff hatte niemanden überrascht. Seit Jahr und Tag lieferten sie einander Streiche, die Ritter von Burg Schreckenstein und die Mädchen des Internats Schloß Rosenfels auf der anderen Seite des Kappellsees. Nachts vor allem.
    „War längst fällig, daß wieder mal was passiert!“ brummte Dampfwalze, das-“ Kraftgebirge der Ritterschaft, und klapperte unternehmungslustig mit seinen Dietrichen. „Wir schauen in den Burgfried. Komm, Bern!“
    „Das mach mal allein“, erwiderte der. „Du stinkst ja waffenscheinpflichtig. Wie faule Veilchen! Ich geh mit Stephan.“
    „Meinetwegen“, antwortete der. „Du riechst zwar wie gekochte Limo von der billigsten Sorte…“
    „Fünferlei Düfte hab ich gezählt“, unterbrach Andi.
    Keiner antwortete mehr. Sie hatten das Portal erreicht und schlichen hinaus. Peitschender Regen mischte und verwischte auf der glitschigen Freitreppe alle Duftrichtungen. Drunten im Burghof trennten sie sich: Dampfwalze strebte zum Burgfried, Mücke mit zwei Mann zur Folterkammer, Ottokar schlich sich an den Durchgang zum Sportplatz heran, Andi an den Einstieg zum Kartoffelkeller. Beni war zum Radstall unterwegs, Klaus und der kleine Kuno näherten sich von zwei Seiten dem Kreuzgewölbe. Die Tordurchfahrt unter dem Klassentrakt, samt Lehrergarage und Zugbrücke, hatte sich Stephan vorgenommen. Es gab gut ein Dutzend Möglichkeiten, sich vor Regen und Rittern in relative Sicherheit zu bringen.
    Der Rex, wie der Schulleiter Direktor Meyer genannt wurde, hatte gegen solche nächtlichen Unternehmungen keine Einwände. Das Leben von Jungen und Lehrern auf der Burg war anders als das in Neustadt, wo die Ritter die Schulbank gedrückt hatten, bis zu jenem Tag, da Graf Schreckenstein mit seinem großzügigen Angebot die drückende Raumnot beendete. Auf dem Schreckenstein entwickelte sich ein völlig neues Schulgefühl. Wenn einer infolge nächtlicher Aktivitäten anderntags dem Unterricht nicht die erforderliche Aufmerksamkeit entgegenbringen konnte, gab er das offen zu und arbeitete das Entgangene freiwillig nach. Kein Lehrer hätte ihn deswegen ermahnt oder gar spaßverderbend eingegriffen. Lehrer gehörten auf dem Schreckenstein mit zur Gemeinschaft, und die Ritter verwalteten sich nach eigenen Regeln selbst. Sie logen nicht, schrieben im Unterricht nicht voneinander ab, Alkohol und Zigaretten fanden sie schlichtweg blöd, weil der Kondition abträglich. Sie aßen lieber um so mehr und hatten auch von Streichen ihre eigenen Vorstellungen. Ein echter Schreckensteiner Streich sollte lustig sein, ohne daß Personen oder Sachen dabei zu Schaden kamen.
    Von dieser ritterlichen Einstellung profitierten auch die Rosenfelser Mädchen. Ihre Leiterin, Fräulein Doktor Horn, war strikt gegen das
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