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Im Land des Falkengottes. Tutanchamun

Im Land des Falkengottes. Tutanchamun

Titel: Im Land des Falkengottes. Tutanchamun
Autoren: Andreas Schramek
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herabhängenden Augenlidern, als wollte sie es nicht zulassen, dass man aus ihren Blicken auch nur den Hauch einer Gefühlsregung erahnen konnte. Gebückt, ja niedergebeugt von den Schicksalsschlägen eines langen Lebens, stand sie dort oben, und nur aus ihrer Körperhaltung konnte ich schließen, dass sie auf ihren Sohn hinabblickte, den zweiten schon, der viel zu früh aus dem Leben geschieden war. Gewiss liebt eine Mutter jeden ihrer Söhne. Aber Thutmosis, ihr Erstgeborener, der schon mit einundzwanzig Jahren auf unerklärliche Weise gestorben war, dieser strahlende Held, kräftig wie ein Stier und mutig wie ein Löwe, war allein der Liebling seines Vaters Amenophis gewesen. Echnaton dagegen, der über die Maßen Gebildete, dieser ein Leben lang zartfühlende Mensch, dessen ganzes Streben nur der Wahrheit – der von ihm gefundenen Wahrheit – und seinem Vater Aton galt, dieser schwächliche Mann, der, obwohl er so viel gearbeitet hatte wie kein anderer, wie ein Weichling aussah, hatte schon immer unter dem besonderen Schutz seiner Mutter Teje gestanden.
    In diesem traurigen Augenblick wurde mir bewusst, dass meine Schwester eine alte und gebückte Frau geworden war,dass sie von der unnahbaren Würde, die sie zeitlebens umgab, jedoch nichts verloren hatte. Langsam schritt sie Stufe für Stufe herab und setzte dabei leicht hinkend stets zuerst das rechte Bein, dessen Knie steif geworden war, nach vorne. Als Acha, unser Wegbegleiter seit so vielen Jahren, hinzueilte, um seiner alten Königin den Arm als Stütze anzubieten, winkte sie mit einer barschen Handbewegung ab, ohne ihn auch nur angesehen zu haben.
    «Diesen Gang muss ich allein tun», hörte ich sie sagen, und obwohl sie leise sprach, war für mich der Unterton eines Fluches über ihr Schicksal in ihren Worten nicht zu überhören.
    «Warum musste es so weit kommen?», flüsterte sie, ohne mich anzusehen, als sie neben der Bahre stand. «Warum nur, Eje?» Dann legte sie ihre rechte Hand auf die des toten Sohnes und griff mit der Linken nach meinem Arm. Während sie so innehielt, wurde es im Hof des Palastes still, ganz still, und voll Ergriffenheit sahen alle auf ihre regungslose, wie zu Stein gewordene alte Königin. Was mochte eine Mutter jetzt fühlen? Von inniger, herzzerreißender und bloßer Trauer bis hin zu dem Verlangen, allen Göttern oder nur Aton, dem einzigen Gott, den Echnaton anerkannte, zu fluchen, mochte es vielleicht nur ein kleiner Schritt sein.
    Erst als Teje nickte, setzten sich die vier, welche die Bahre trugen, in Bewegung, ganz langsam nur, denn Teje ließ die Hand ihres Sohnes nicht los. Es sah erbarmungswürdig aus, wie Teje gebückt Stufe um Stufe erklomm, jetzt immer das gesunde Bein vorausstellend und das kranke hinter sich herziehend, um sich mit diesem beim nächsten Schritt abzustützen. Ohne auch nur einmal anhalten zu lassen, quälte sie sich die 24   Stufen empor, um von dort sogleich den Weg ins Innere des Palastes fortzusetzen.
     
    Während Teje ihren toten Sohn in die oberen Gemächer begleitete, damit er dort gewaschen und für seine Aufbahrung vorbereitet werden konnte, blieb ich mit Tutanchaton bei Acha,Merire und Mahu zurück. Wir sahen uns ratlos und schweigend an, ehe Mahu die Stille unterbrach.
    «Es sollen Kaufleute aus Men-nefer gewesen sein, die zuletzt von Echnaton empfangen wurden. Der Vorsteher der Palastwache berichtete mir von dem Zusammentreffen. Aber niemand weiß, worüber sie sprachen, denn Pharao schickte auf Wunsch ihres Anführers ausnahmslos alle anderen vor die Tür.»
    «Ich glaube davon kein Wort», widersprach ich ihm. «Welchen Grund sollte Echnaton gehabt haben, wegen irgendwelcher Kaufleute seine Vertrauten, selbst seinen eigenen Schreiber, hinauszuschicken? Es waren keine Kaufleute, glaubt mir das!»
    Fieberhaft suchte ich in meinem Gedächtnis nach den Gesichtern, die ich für einen kurzen Augenblick nur gesehen hatte, als mein Schiff in den Hafen einfuhr. Ich erinnerte mich an eine Gruppe von Männern, unscharf wie in einem Nebelschleier sah ich sie vor mir, aber es standen viele andere um sie herum. Es war laut, und sie waren erregt. Aber gegen wen erhoben sie ihre Stimme?
    «Ich sah sie schon einmal im Audienzsaal Nimurias. Im Palast der leuchtenden Sonne war es, wo sie ihre Stimme gegen Pharao erhoben hatten. Nicht gegen Echnaton, sondern gegen Nimuria begehrten sie auf», sprach ich leise und mehr zu mir als zu den anderen und sah dabei auf ein lustig umherspringendes Kalb, das
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