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Im Land des Falkengottes. Tutanchamun

Im Land des Falkengottes. Tutanchamun

Titel: Im Land des Falkengottes. Tutanchamun
Autoren: Andreas Schramek
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    Tauche in dein Buch, so wie man in das Wasser taucht.
    Wer niemals hierher kommt, dem ist das Elend.
     
    D ie Kühle des gerade anbrechenden Tages stimmte Pharao zufrieden. Nicht, dass er unter der Hitze, die sich bis Mittag über das Land legen würde, übermäßig litt, wie viele seiner Untertanen; manchmal war ihm sogar, als würde er wie eine Schlange erst dann richtig zum Leben erwachen, wenn ihn die Strahlen der Sonne lange genug gewärmt hatten. Aber in der Kühle des Morgens spann er seine Gedanken, entwickelte Pläne und entschloss sich Tag für Tag aufs Neue, so lange an seinem Leben festzuhalten, bis alles, ja wirklich alles, was er sich vorgenommen hatte, vollendet war. Als Greis, der Eje jetzt mit dreiundsiebzig Jahren war, wusste er nur zu gut, dass er selbst als vergöttlichter Herrscher nicht die Macht besaß, über seine Lebenszeit zu bestimmen. Doch er hatte in seinem langen Leben auch erfahren, wie der unbedingte und unbeugsame Wille eines Menschen selbst den Göttern den Atem stocken und sie in ihrem Walten innehalten lassen kann. Den Gleichgültigen, der es nicht einmal wagte, an ein Aufbegehren gegen das ihm bestimmte Schicksal zu denken, den streckten die Götter mitleidlos nieder, so mitleidlos, wie Eje jetzt eine Mücke erschlug, die sich auf seinen linken Arm gesetzt hatte, um ein winziges Tröpfchen seines königlichen Blutes aus dessen Adern zu saugen.
    Lange vor Sonnenaufgang pflegte er den Palastgarten aufzusuchen,wobei er den Leibwächtern befahl, auf der Terrasse zurückzubleiben. Allein ging er hinaus, um noch einige wenige Töne der Nachtigall zu hören, ehe der heraufbrechende Morgen ihr gebot, zu schweigen. Es gab nichts in dieser Welt, das den einsamen Greis so glücklich stimmen konnte wie der Gesang dieses so unscheinbaren Vogels. Ja es war wahrhaftig ein Gesang, den die Nachtigall anstimmte, und nicht nur ein eintöniges Geschnatter und Gezwitscher, wie Eje es von anderen Vögeln kannte. Hörte er die wohlklingende und jubelnde Stimme einer Nachtigall, erinnerte sich Eje seiner Kindheit in Men-nefer, der großen und altehrwürdigen Stadt im Norden Ägyptens. Dann rief er die Bilder jener Tage in sein Gedächtnis zurück, als Amenophis – ein Jüngling noch – zum Herrscher der beiden Länder gekrönt wurde und ihn, den nur um ein Jahr jüngeren Eje, bat, sein Leben in den Dienst Pharaos zu stellen. Er erinnerte sich seiner ersten Liebe, der Tänzerin Inena, die in all den Jahren seit jenen Nächten im Palast von Men-nefer gewiss im immer dichter werdenden Nebel des Vergessens verschwunden wäre, wenn sie eben nicht Ejes erste Liebe gewesen wäre. Obwohl sie nur eine Tänzerin gewesen war, wie es von ihnen Tausende gegeben haben mochte, so ließ ihn dennoch ein Leben lang die Erinnerung an Inena nicht los, und mit einem sanften Lächeln bestätigte er sich auch an diesem Morgen, dass die nächtlichen Stunden mit Inena es wert waren, nicht vergessen zu werden. Wenn sein Lächeln aber nachließ und Pharao der Nachtigall wieder genauer zuhörte, suchte er die Erinnerung an die wirkliche Liebe seines Lebens, und er sah Merit vor sich. In rascher Bildfolge, als wollte er möglichst schnell an das Ziel seiner Rückbesinnung gelangen, erinnerte sich Eje seiner Reise nach Babylon, um bei dem Bild der Stadt, das jetzt vor seinen Augen auftauchte, innezuhalten, damit er ihre Tempel und Paläste, ihre Kanäle und Gärten bewunderte, bis sein Gedächtnis den Blick auf jenen Garten erlaubte, in welchem er Merit zum ersten Mal begegnet war. Bei dem Gedanken an sie rieb er mit geschlossenen Augen die Spitzen von Daumen und Mittelfingeraneinander und meinte, dazwischen Merits seidenes Haar zu spüren. Er atmete tief durch und erinnerte sich dabei des Duftes ihrer weichen Haut. Dann aber öffnete er schnell die Augen, um sich nicht auch des Anblickes erinnern zu müssen, als Merit sterbend vor ihm lag, inmitten all des Blutes, das sie bei der Geburt ihrer Tochter Nofretete verloren hatte, zu viel, um selbst weiterleben zu können.
    Eje hätte sich damals vielleicht das Leben genommen, hätte sich vom Dach seines Palastes gestürzt, wäre nicht Pharao Amenophis gewesen: Amenophis, der ihm ein Leben lang Halt gegeben, der ihn nicht fallen gelassen hatte, selbst dann nicht, als Eje einmal vor ihm geflohen war und ihn im Stich gelassen hatte. Pharao war seinem Freund in die Steinbrüche von Tura gefolgt und hatte mit einem einzigen Pfeilschuss den Mörder, der vor Eje gestanden und ihm
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