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Im Land des Falkengottes. Tutanchamun

Im Land des Falkengottes. Tutanchamun

Titel: Im Land des Falkengottes. Tutanchamun
Autoren: Andreas Schramek
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Tote war, kniete er kurz nieder und hob das Tuch der Alten an einemEnde ein wenig hoch, um es sogleich wieder niedersinken zu lassen, nachdem auch er in die starren Augen Echnatons geblickt hatte.
    «Weißt du schon etwas?», fragte er mich leise.
    Ich schüttelte den Kopf und sagte nur: «Wir müssen Echnaton schnell von hier wegbringen lassen.»
    Mahu winkte einen Offizier herbei. Ein kaum zwanzig Jahre alter Mann kniete sich neben Mahu, damit ihm dieser etwas ins Ohr flüstern konnte. Während Mahu in knappen Worten seine Befehle erteilte, nickte der Offizier mehrmals mit dem Kopf. Dann erhob er sich und forderte vier Polizisten aus seiner Begleitung mit einem unauffälligen Handzeichen auf, ihm zu folgen. Mahu sah mich mit ernster Miene an und fragte mich nochmals: «Du hast nichts Auffälliges bemerkt, als du hierher kamst?»
    «Abgesehen davon, dass mir bei der Einfahrt in den Hafen ein Schiff begegnete, dessen Fahrgäste mir bekannt vorkamen, die mir aber aus irgendeinem Grund nicht gefielen, habe ich nichts Besonderes bemerkt.»
    «Du hast keine Vorstellung, wer diese Männer waren? Komm, Eje», sagte Mahu und wirbelte mit seinem gespreizten Zeigefinger vor der Brust herum, als würde sich dadurch meine Erinnerung schneller einstellen, «wir dürfen keine Zeit verlieren. Wie sahen sie aus? Welche Kleider trugen sie?»
    «Sie trugen gute, aber nicht auffallend aufwändige Kleidung, und ich könnte mir vorstellen, dass sie Kaufleute waren.» Mahu biss sich auf die rechte Unterlippe und sah mich nachdenklich an.
    «Kaufleute», wiederholte er leise. «Sorge du dich um Pharao und um Prinz Tutanchaton! Ich bin hier niemandem nützlich. Ich befrage erst die Palastwache und die Leibgarde Pharaos, und danach werde ich am Hafen sein.»
    Mahu erhob sich jetzt und wollte gerade weggehen, da sprach ihn einer der Männer, die bei uns standen, an: «Hoher Herr», begann er in ängstlichem Ton seine Rede. «Ich wollte Euch nicht belauschen. Aber   …»
    «Was ist aber?», fuhr ihn Mahu in gereiztem Ton an.
    «Es war niemand außer Pharao auf dem Turm. Ich habe es gesehen. Ich habe gesehen, wie der Gute Gott an die Brüstung des Turmes kam, seine Hände gegen das Gesicht drückte und irgendetwas rief, was ich nur schlecht verstand.» Der Mann sah uns mit großen Augen an.
    «Rede weiter!», drängte Mahu erneut. «Hast du verstanden, was der Gute Gott sagte, oder nicht?»
    «Mir war, als rief er: Nein! Das darf nicht sein. Das darf einfach nicht sein.» Der Mann nickte mit dem Kopf und bestätigte sich selbst: «Ja, doch. Das war es, was er rief.»
    «Und was geschah dann? So rede doch!», beschwor ihn der Polizeioberste und hielt die gefalteten Hände bittend vor die Brust. Ich legte meine Hand an Mahus Arm, um ihn zu besänftigen, denn ich sah, wie die Lippen des Mannes zu beben begannen, wie dessen Augen feucht wurden und wie er ängstlich schluckte.
    «Dann legte Pharao die Hände auf die Brüstung und blickte nach oben, sodass ihm die Sonne, ich meine unser Vater Aton, ins Gesicht schien. Dann rief er laut: ‹Aton! Warum wendest du dich von mir ab?› Danach stieg er auf die Brüstung, und mit weit ausgebreiteten Armen sprang er kopfüber in die Tiefe.»
    Weinend sackte jetzt der Mann, der vielleicht vierzig Jahre alt sein mochte, in sich zusammen. Er kniete vor Mahu nieder, setzte sich auf die Fersen und vergrub den Kopf in seinen Händen, um vor uns sein schmerzverzerrtes Gesicht zu verbergen.
    «Ja, es war so, wie er sagte», rief uns jetzt ein anderer aus der zweiten oder dritten Reihe zu. «Außer dem Guten Gott war niemand auf dem Turm zu sehen. Das kann auch ich bezeugen!»
    «Folgt diesem Offizier auf die Polizeiwache, damit man dort aufschreibt, was ihr gesehen und gehört habt», sagte Mahu zu den beiden. Der Vierzigjährige erhob sich, und sie gingen schweigend und ohne zu murren mit dem Offizier weg.
    «Ich befrage jetzt die Wachen. Du weißt, was du zu tun hast», flüsterte er mir noch einmal zu und wandte sich ab.
    «Geh nur», war alles, was ich antwortete, denn in Gedanken war ich noch bei Echnaton und den uns geschilderten letzten Augenblicken seines Lebens.
    «Warum ist Vater vom Turm gesprungen?», hörte ich Tutanchaton neben mir sagen, und erst jetzt wurde mir bewusst, dass der Knabe alles mit angehört hatte. Doch es war nicht mehr zu ändern. Das Wissen um den Selbstmord seines Vaters und die niemals zu beantwortende Frage nach dem Warum würde ihn wohl ein Leben lang begleiten und
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