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Im Land des Falkengottes. Tutanchamun

Im Land des Falkengottes. Tutanchamun

Titel: Im Land des Falkengottes. Tutanchamun
Autoren: Andreas Schramek
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was der mächtige Eje tat.»
    Ihre einst kastanienbraunen Haare waren grau. Was von ihren einmal blendend weißen Zähnen übrig geblieben war, schimmerte jetzt gelb aus ihrem Mund. Aber ihre Augen, ihre braun-grünen Augen, huschten noch immer unruhig über das Gesicht Pharaos, wie vor siebenundfünfzig Jahren.
    «Warum hast du all die Jahre ungenutzt verstreichen lassen? Hättest du mir nicht ein Lebenszeichen von dir geben können?», fragte Eje fast ein wenig vorwurfsvoll.
    «Wozu, Eje? Wozu?»
    «Damit ich dich zu mir hole!»
    «Das meinst du nicht wirklich», widersprach sie ihm. «Ich habe nie in deine Welt gehört. Das weißt du.»
    «Wer hat darüber zu bestimmen, wer in meine Welt gehört, Inena? Gehört er in meine Welt?», fragte Eje und zeigte auf Nacht-Min.
    «Für wenige Tage, vielleicht. So wie ich für wenige Tage Teil deiner Welt war.»
    Eje sah nachdenklich zu Nacht-Min und dessen Familie hinüber. Dann sprach er weiter.
    «Er wird Teil meiner Welt bleiben. Ich behalte ihn bei mir, damit du siehst, dass es mir ernst ist. Und es ist mein ehrlicher Wunsch, dass auch du mit mir kommst, damit wir die wenige Zeit, die uns noch verbleibt, zusammen verbringen!»
    Inena lachte. Ihr Lachen zeigte die wenigen gelben Zähne, doch sie schämte sich ihrer nicht. Ihre Augen huschten über Pharaos Gesicht, und sie lachte noch immer.
    «Nein, Eje. Glaube mir. Meine Welt ist nicht dort unten. Ich gehöre hierher. Ich gehöre zu ihnen. Erdrücke mich nicht! Nimm den Jungen mit dir und versuche, mich so in Erinnerung zu behalten, wie du es immer getan hast. Es wird schwer genug für dich werden, sich an eine siebzehnjährige Tänzerin zu erinnern, wo du jetzt ein altes Weib gesehen hast.»
    Eje sah ein, dass sie Recht hatte, und bedrängte sie nicht weiter.
    Niemand der Anwesenden begriff, was hier vor sich ging,und man begann zu tuscheln. Auch die Eltern und Geschwister Nacht-Mins sahen einander verwundert an. Nur der Junge wusste, wer sich hier begegnet war.
    Eje ergriff die Hände der alten Frau und sah ihr noch einmal in die unruhigen Augen. Schnell beugte er sich ein wenig nach vorn und küsste sie flüchtig auf beide Wangen.
    «Du weißt, wo du mich findest!»
    «Ich wusste es immer», antwortete sie leise, wandte sich ab und ging ins Haus, ehe er sehen konnte, dass sie Tränen in den Augen hatte.
     
    «Wenn ihr es erlaubt», rief Eje den Eltern des Jungen zu, «werde ich euren Sohn bei mir behalten, damit er mir treu dient. Wann immer er will, kann er zu euch hierher zurückkehren.»
    Meriamun und seine Frau verneigten sich stumm, denn sie konnten das Glück, das so plötzlich über ihre Familie gekommen war, noch nicht fassen.
    Während Nacht-Min von seinen Eltern und Geschwistern Abschied nahm, bestieg der Gute Gott die Sänfte.
    «Komm, Nacht-Min!», rief er nach hinten, denn es wurde Zeit, die Siedlung wieder zu verlassen.
     
    Ein Jahr wich der Junge nicht von der Seite seines Herrschers. Eje unternahm noch eine Reise. Sie führte ihn in seine Heimatstadt Achmim, wo er zu Ehren Mins weit über der Stadt in einem Berg einen Felsentempel errichtet hatte. Dann kehrten sie nach Waset zurück.
    Aber Eje bezog nicht mehr den Palast der leuchtenden Sonne, sondern er verbrachte die letzten Monate seines Lebens im Stadtpalast, den er immer so sehr geliebt hatte.
     
    Sie saßen schweigend auf der Dachterrasse und sahen hinunter auf die Stadt, auf den Fluss und auf die Berge im Westen, hinter welchen sich auch die Grabstätte Ejes verbarg.
    «Heil Dir, Gott, Du großer, der Wahrheit und der GerechtigkeitMeister», betete Pharao leise, ohne dass es Nacht-Min hören konnte.
    «Du mächtiger Herrscher! Nun trete ich vor Dich! Lass Deine strahlende Schönheit mich schaun! Denn ich kenne Deinen Namen, wie auch die Namen der zweiundvierzig Götter, die Dich umringen in lichtvollen Räumen der Wahrheit und Gerechtigkeit, am Tage, wo aufgezählt vor Osiris die Sünden. Siehe, ich bringe in meinem Herzen Wahrheit und Gerechtigkeit.»
    Die Sonnenscheibe neigte sich mehr und mehr dem Horizont zu. Rot glühend war sie wie brennender Karneol, wie jener Edelstein, den Eje so geliebt hatte.
     
    «Denn ausgerissen habe ich aus meinem Herzen das Böse. Nicht habe ich bewirkt das Leiden der Menschen, noch meinen Verwandten Zwang und Gewalt angetan. Nicht habe ich das Unrecht an die Stelle des Rechts gesetzt, noch Umgang gepflegt mit den Bösen. Ich habe kein Verbrechen begangen, und nicht ließ ich die anderen sich abmühen über
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