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Im Land des Falkengottes. Tutanchamun

Im Land des Falkengottes. Tutanchamun

Titel: Im Land des Falkengottes. Tutanchamun
Autoren: Andreas Schramek
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der Junge. Eje wusste, dass er dem Jungen und seiner Familie keine größere Ehre erweisen konnte als die seines Besuches in ihrem gewiss bescheidenen Haus.
    «Es ist schon gut, Nacht-Min. Ich habe dich hierher geholt, also bringe ich dich auch zurück. Es ist gut so.»
    Nicht einmal vor sich selbst mochte der Greis zugeben, dass es eine kleine, ja winzige Hoffnung war, die in ihm aufkeimte und die der eigentliche Grund dafür war, dass er die Siedlung aufsuchen wollte.
    Beide schliefen in dieser Nacht schlecht, denn sie waren gleichermaßen unruhig angesichts dessen, was sie erwartete.
     
    Der Weg vom Palast der leuchtenden Sonne in die Arbeitersiedlung war nicht weit. Pharao schickte niemanden voraus, der seinen Besuch ankündigte. Es war der zehnte Tag der Woche, der Tag, an dem alle Arbeit ruhte, und so konnte sich Eje sichersein, dass alle Bewohner der Siedlung ihn begrüßen würden. Ja, eine größere Ehre konnte er Nacht-Min und dessen Familie wirklich nicht erweisen.
    Der Sechzehnjährige durfte links neben der Sänfte Pharaos laufen. Pharao hatte ihm am Morgen noch ein Kopftuch geschenkt. Und einen Halskragen aus Glasperlen! Niemand in der Siedlung besaß Derartiges. Einen Halskragen aus Pharaos Hand! Wer würde ihn wohl zuerst erkennen, ihn, den Sohn Meriamuns und Inenas? Ganze Tage und Nächte würde er ihnen von seinen Erlebnissen im Palast des Guten Gottes erzählen müssen. Ach was, ein Leben lang!
    Nacht-Min war glücklich und stolz wie nie zuvor in seinem Leben. Er durfte eine Elle neben Pharao gehen. Wenn der Weg etwas steiler wurde, hielt er sich ab und zu an der Sänfte fest, und niemand untersagte es ihm. Schließlich fühlte er sich so sicher, dass er beschloss, die Hand nicht mehr von der Sänfte zu lassen, bis sie das Haus seines Vaters erreicht haben würden.
     
    «Macht Platz für den Guten Gott!», rief ein Offizier der Leibgarde, der dem Zug voranschritt, als sie die Siedlung erreicht hatten.
    «Werft euch nieder vor dem Guten Gott Cheper-chepru-Re iri-Maat!»
    Die Dorfbewohner waren zuerst entsetzt und fürchteten ein Strafgericht des Guten Gottes, denn welch anderen Grund sollte es geben, dass er ohne jede Ankündigung hierher kam? Väter rissen ihre Kinder, die nicht wussten, was sie zu tun hatten, zu Boden, damit auch sie im Staub lagen, wenn der Gute Gott an ihnen vorüberzog.
    «Das ist Nacht-Min», hörte Pharao jemanden flüstern. «Der Sohn des Meriamun geht neben dem Guten Gott einher», zischte ein anderer.
    «Wo steht das Haus deiner Eltern, Nacht-Min?», fragte Eje laut, so laut, dass es alle hören konnten.
    «Dort, Majestät, am Ende der Gasse», antwortete Nacht-Minfröhlich und zeigte mit seiner Linken in die Richtung, ohne dass die Rechte von der Sänfte ließ. Längst waren alle Dorfbewohner zu Boden gefallen, auch die, die Pharao noch gar nicht sehen konnten, denn seine Anwesenheit war wie ein Lauffeuer umgegangen.
    Der Zug erreichte das Haus des Meriamun. Vor seinem Eingang standen zwei krumme Holzstangen, die ein weißes Tuch trugen, damit es etwas Schatten spendete. Die ganze Familie Nacht-Mins lag darunter am Boden, und keiner wagte es, den Kopf auch nur ein Stück weit zu heben. Nur etwas abseits hockte ein altes, unscheinbares Weib am Boden. Pharao griff nach der Hand des Jünglings und stieg aus der Sänfte.
    «Zu Boden, Alte!», schrie ein Soldat der Leibgarde und trat mit dem Fuß gegen ihre Schulter, sodass sie zur Seite fiel.
    Ein harter Schlag von Pharaos Geißel traf den Soldaten am Rücken.
    «Wage es nie mehr in deinem Leben, diese Frau auch nur anzusehen! Sie ist tausendmal mehr wert als du Abschaum. Geh mir aus den Augen!», rief Eje zornig. Der Soldat wusste nicht, wie ihm geschah, hatte er doch nichts als seine Pflicht getan.
    «Erhebt Euch!», befahl Eje und streckte der Frau seine Hände entgegen, um ihr aufzuhelfen. Er trat ganz nahe an sie heran und sah ihr ins Gesicht.
    «Inena?», flüsterte er leise.
    Dann erkannte er die Narbe neben ihrem rechten Nasenflügel. Als wollte er nicht glauben, was er sah, hob er den rechten Zeigefinger und strich vorsichtig über die Stelle, die ihm verraten hatte, wer diese Frau war.
    «Inena.», wiederholte er leise.
    «Ja, Eje», flüsterte auch die Alte. «Ich bin Inena.»
    «Ein Leben lang habe ich an dich gedacht, und nie habe ich aufgehört, darüber nachzudenken, wo du leben könntest.»
    «Ich lebe seit so vielen Jahren in deiner Nähe. Ich wusste stets über dich Bescheid, wie jeder in Ägypten wusste,
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