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Im Land des Falkengottes. Tutanchamun

Im Land des Falkengottes. Tutanchamun

Titel: Im Land des Falkengottes. Tutanchamun
Autoren: Andreas Schramek
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bereits das Messer an die Kehle gesetzt hatte, niedergestreckt.
    Wie schnell waren die Jahre, die er an der Seite dieses mächtigen Herrschers verbracht hatte, verflogen! Nie würde Eje die Tage vergessen, als er mit Amenophis, der sich bei seiner Thronbesteigung den Herrschernamen Nimuria gegeben hatte, nach Nubien gezogen war, um einen Rachefeldzug gegen aufrührerische Stammeshäuptlinge zu führen; nie die Zeit, als sich Waset durch den starken Arm Pharaos von der mächtigsten Stadt Oberägyptens in die reichste und prächtigste Stadt der Beiden Länder, ja des ganzen Erdkreises verwandelt hatte. Seit den Zeiten des großen Chufu, des Schöpfers der größten aller Pyramiden, hatte man in Ägypten nicht mehr solche Mengen an Ziegeln, an kostbaren Steinen und Hölzern aller Art verbaut. Nie zuvor war man mit Gold, Silber und Edelsteinen so verschwenderisch umgegangen wie bei der Vergrößerung der Tempel von Ipet-sut durch Nimuria.
    Eje erinnerte sich aber auch an jene Zeit, als Amenophis krank geworden und sein Körper mehr und mehr verfallen war, bis er, kaum vierundfünfzig Jahre alt, in den Armen des Freundes den Kampf mit dem Tod hatte aufgeben müssen.
    «Zwanzig Jahre liegt Amenis Tod schon zurück», sagte Eje leise vor sich hin und schüttelte dabei ein wenig den Kopf, als wollte er nicht wahrhaben, um wie viele Jahre er den Freund schon überlebt hatte.
    Der alte Mann blickte auf und war überrascht, wie plötzlich der Tag angebrochen war. Seine letzten Gedanken hatten ihn sogar den Gesang der Nachtigall vergessen lassen, und erst jetzt wurde er gewahr, dass sie schwieg und es die Amsel war, die mit schreckhaftem Zetern den Sonnengott begrüßte, dessen flimmernde Scheibe sich langsam über dem östlichen Gebirge, das hinter Waset aufragte, erhob, um für kurze Zeit alles Land, den Nil, die Tempel und die Paläste der Stadt in einem rot glühenden Lichtermeer zu ertränken, ehe ihr bald goldgelber Glanz alle Geschöpfe zum Leben erweckte.
    So glänzend wie die Sonne war einst auch die Vergangenheit Ägyptens gewesen. In welcher Macht waren die Beiden Länder unter Amenophis erstrahlt! Welch geistige Blüte hatten sie unter seinem Sohn Echnaton erlebt, jenem Pharao, der zuletzt die alten Götter Ägyptens verleugnet, ihre Tempel geschlossen und einzig den Aton, die lebendige Sonnenscheibe, als Gott anerkannt und verehrt hatte!
    Echnaton hatte den Menschen die Augen geöffnet, indem er Maler und Bildhauer zu Wahrheit in ihrem Schaffen aufrief. Sie sollten Pharao und seine Familie nicht mehr in jener entrückten Vollkommenheit abbilden, wie es die Ägypter seit über tausend Jahren gewöhnt waren: mit makellosen Körpern und mit dem Antlitz strahlender Helden oder lieblicher Göttinnen. Jetzt mussten sie Pharao und seine Familie so darstellen, wie sie sie wirklich sahen: mit aufgeworfenen Lippen, mit fleischigen Nasen und übergroßen Hinterköpfen; mit wulstigen Schenkeln und langen, dünnen Armen und mit den erschlafften Körpern von Weichlingen. Doch so sehr Echnaton die Wahrheit und den Frieden liebte und an die Liebe der Menschen glaubte, verschloss er die Augen vor den Gefahren, die Ägypten in jenen Tagen bedrohten: die immer mächtiger werdenden Hethiter unddie Weigerung vieler, ihrem Herrscher in dessen Gedanken und Visionen zu folgen. Er sperrte sich in Achet-Aton ein, der Stadt seiner Träume, die er für sich und seinen Gott Aton errichtet hatte. Er nahm es hin, dass Ejes Tochter, die Große königliche Gemahlin Nofretete, nach Waset zog, um dort an seiner Stelle als Pharao Semenchkare zu herrschen, damit Ägypten nicht gespalten wurde. Und es war gekommen, wie Eje es in einem der schrecklichsten Träume, die er je träumen musste, gesehen hatte: Am Ende der Herrschaft Echnatons stand Ägypten am Rand des Abgrunds.
     
    Pharao brauchte seine schwachen Augen nicht anzustrengen, um sich zu vergewissern, dass es Nacht-Min war, der sich der Terrasse näherte.
    «Lasst ihn zu mir kommen!», rief Eje den Leibwächtern zu, mit einer Stimme, wie man sie so kräftig bei einem Mann seines Alters nicht mehr vermutet hätte. Und das Gehör des Alten, dieses noch immer so erstaunlich gute Gehör einer Katze, ließ ihn von weitem den herablassenden Ton in den Worten des Offiziers vernehmen: «Du darfst vor den Guten Gott treten!»
    Eje hörte das leise, so unbedeutende Knirschen von Sandkörnern, welches Nacht-Min mit den Sohlen seiner Sandalen verursachte, als er die wenigen Stufen von der Terrasse des
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