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Rache an Johnny Fry

Rache an Johnny Fry

Titel: Rache an Johnny Fry
Autoren: Walter Mosley
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    Es war ein Mittwoch, als ich mich entschloss, Johnny Fry zu töten, aber bereits eine Woche zuvor bekam ich den Grund dafür. Mein Entschluss, ein Leben zu beenden, ist mir fast peinlich. Die Sache war so banal.
    Es fing alles an dem Tag an, als ich mit Lucy Carmichael im Cafe Petit Pain an der Amsterdam Avenue, nicht weit von der 80. Straße, zu Mittag aß. Lucy wollte mir ihre Mappe zeigen, weil sie hoffte, dass ich sie mit Brad Mettleman zusammenbringen würde. Mettleman ist ein Kunstagent, der mit Vorliebe strohblonde, blauäugige junge Frauen ausnutzt.
    Ich hatte Lucy auf einer Tagung für Übersetzer aus dem Französischen kennengelernt. Sie war mit ihrer Mutter da. Mrs Helen Carmichael importiert Stoffe und brauchte Hilfe bei ihrer Korrespondenz mit dem französisch sprechenden Afrika. Sie hatte zwar kaum Geld, aber Lucy war sehr schön, und so erklärte ich ihrer Mutter, wie sie es an der Uni mit Studenten versuchen könnte. Zwischendurch schielte ich immer wieder zu der hübschen jungen Frau hinüber.
    Nach einer Weile stellte sich heraus, dass Lucy gerade aus Darfur zurückgekommen war, wo sie Fotos von leidenden Kindern gemacht hatte. Darauf ließ ich ganz nebenbei einfließen, dass ich schon für Brad Mettleman gearbeitet hätte.
    »Den Fotoagenten?«, sagte Lucy. »Der hat mal einen Vortrag über Kunst als Business an der New York University gehalten. Den würde ich gerne persönlich kennenlernen. Es ist wichtig, dass die amerikanische Öffentlichkeit erfährt, was mit den Menschen dort geschieht.«
    »Ich könnte Sie ihm vorstellen«, sagte ich.
    Ich meinte es nicht ernst, doch Lucy schrieb sich meine Nummer auf und lud mich ein, mit ihr und ihren Eltern abends zur Eröffnung einer Galerie zu gehen.
    Als wir uns verabschiedeten, küsste Lucy mich auf die Wange, direkt neben den Mund.
    Brad würde begeistert von ihr sein, das wusste ich. Sie war zierlich, wohlproportioniert, und ihr blondes Haar leuchtete wie ein Sommertag. Ihre blauen Augen strahlten einen Ernst aus, der bei einer schönen Frau wie ihr auf ein ausgesprochen leidenschaftliches Naturell schließen ließ.
    Ich habe gesagt, dass Brad junge Frauen ausnützt, aber die, an die ich dabei denke, haben sich nie darüber beklagt. Natürlich traf ich mich mit Lucy zum Essen, so blond und hübsch, wie sie war. Sie hatte die Angewohnheit, einem beim Sprechen die Hand auf den Arm zu legen und dazu tief in die Augen zu schauen.
    Während ich mir die Fotos der Kinder aus dem Sudan ansah, dachte ich an den Kuss, den sie mir geben würde, wenn ich sie später ins Taxi zurück ins East Village, nach Dumbo oder was für ein Künstlerviertel auch immer setzen würde.
    »Politik und Kunst sind nicht voneinander zu trennen«, sagte die junge Frau, während ich durch die Mappe mit den Bildern von Leiden und Tod blätterte.
    Die großäugigen Kinder schienen am Ende ihrer Kräfte zu sein. Ich fragte mich, wie viele von ihnen wohl noch lebten, und gleichzeitig auch, warum mich ihr Schicksal so kalt ließ. Natürlich war es schrecklich, was in Darfur geschah. Diese Kinder starben, weil ihnen die einfachsten, elementarsten Dinge verweigert wurden. Sie wurden vertrieben, hingemetzelt, versklavt, vergewaltigt. Was mein Herz jedoch schneller schlagen ließ, war nicht ihr Leiden, sondern die Aussicht auf einen feuchten Kuss von Lucy Carmichael gleich neben den Mund.
    »Diese Bilder sind äußerst kraftvoll«, höre ich mich noch sagen. »Ich bin sicher, Brad wird begeistert sein.«
    Genauso sicher war ich mir, er würde mehr von ihr wollen als nur einen aufreizenden Kuss, sollte er versuchen, sie in einer von dem Dutzend Galerien in Midtown unterzubringen, mit denen er zusammenarbeitete.
    »Glauben Sie?«, sagte Lucy und legte mir ihre Hand auf den bloßen Unterarm.
    Ich betrachtete die fast porzellanweißen Fingerspitzen auf meiner dunkelbraunen Haut.
    Wenn ich zurückdenke, war es nicht zuletzt diese Berührung, die zu Johnny Frys Todesurteil führte. Mein Mund wurde völlig trocken, und egal wie viel Mineralwasser ich auch trank, mein Durst war nicht zu löschen. Dieser Durst und was ich tat, um ihn zu stillen, waren die ersten beiden Nägel in Mr Frys Sarg.
    Mein Atem ging flach, aber mein Herz schlug wild. Ich lehnte mich etwas vor. Lucy wich nicht zurück, und ich war so gut wie sicher, dass sie in diesem Moment meinen Kuss erwidern würde.
    Ich war doppelt so alt wie sie, nur ein Jahr fehlte, und doch zog sie weder Hand noch Gesicht zurück. Sie
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