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Im Land des Falkengottes. Tutanchamun

Im Land des Falkengottes. Tutanchamun

Titel: Im Land des Falkengottes. Tutanchamun
Autoren: Andreas Schramek
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Palastes zu ihm in den Garten hinabstieg. Das Knirschen des Kieses, das jetzt immer näher kam, hätte auch jeder andere gehört, denn dazu bedurfte es nicht des empfindlichen Gehörs eines Eje. Welcher Mensch aber maß schon dem Geräusch des Sandes Bedeutung bei? «Ich», gab sich Eje selbst zur Antwort, «denn ihr hört nichts, ihr seid taub», fügte er schnell und fast ein wenig schadenfroh hinzu.
    Pharao freute sich auf den Sechzehnjährigen, als wäre dieser sein eigener Sohn. Dabei war er nur der Sohn eines wenn auch altgedienten Vorarbeiters – aber eben nur eines Arbeiters – aus der Totenstadt. Sieben Tage weilte der Jüngling jetzt schon bei ihm. Sieben Tage hatte Nacht-Min im Palast der leuchtendenSonne eine Welt erlebt, von welcher er bis vor kurzem nicht einmal gewusst hätte, wie er sie sich vorstellen sollte, hätte man ihn danach gefragt. Er war in einer Siedlung von etwas mehr als vierzig weiß getünchten Ziegelhäusern aufgewachsen, weiter oben im westlichen Gebirge und abgeschirmt von der übrigen Welt, denn niemand durfte die Geheimnisse ihrer Bewohner erfahren. Niemand außer ihnen durfte wissen, wo die Wohnungen der Ewigkeit, die Gräber der Pharaonen, lagen, wie sie zu öffnen waren und welche Schätze die Grabkammern tief im Innern des Gebirges verborgen hielten.
    «Steh auf!», sagte Pharao leise, denn jetzt nahmen auch seine Augen Nacht-Min, der sich vor seinem Herrscher zu Boden geworfen hatte, wahr. Der Junge erhob sich und blieb mit gesenktem Haupt vor Eje stehen.
    «Du weißt doch», fuhr der Gute Gott mit der sanftmütigen Stimme eines alten und weisen Mannes fort, «dass du mich ansehen darfst, wenn ich mit dir spreche. Ich muss dir das nicht jeden Tag aufs Neue sagen. Begleite mich zurück auf die Terrasse!»
    Eje streckte Nacht-Min seinen abgewinkelten linken Arm entgegen, um sich bei dem Jungen unterzuhaken. Während sie sich in kleinen, von dem Greis vorsichtig geführten Schritten der Terrasse näherten, begann Pharao zu erzählen.
    «Ich kann dir nicht sagen, welche Zeit für mich die aufregendere, die schönere war: die, welche ich mit Nimuria verbracht habe, die an der Seite seines Sohnes Echnaton oder die wenigen Jahre mit Tutanchamun. Echnaton hatte mir und vielen anderen die Augen für Dinge geöffnet, die wir vorher nie gesehen, die wir niemals zu denken gewagt hätten. Die Vorstellung, dass es nur ein Gott war, ein einziger Gott, der die Geschicke der Erde und der Menschen lenkte, war ebenso berauschend wie die für uns so befremdliche Art, Mensch und Tier, ja die gesamte Schöpfung darzustellen. Doch bei alldem, was Echnaton uns lehrte, unterschätzte er das Gedächtnis der Menschen. Obwohl die Tempel der alten Götter über viele Jahre geschlossen waren,obwohl selbst deren Namen nicht mehr ausgesprochen werden durften, wurden sie nicht vergessen und waren die Menschen nicht bereit, sie aus ihren Herzen zu verbannen, wie ihr Herrscher es getan hatte. Echnatons Werk, der Glaube an einen einzigen Gott, war nicht von langer Dauer und hat seinen Schöpfer um kaum mehr als drei Jahre überlebt.»
    Der greise Pharao und sein Begleiter hatten jetzt die Terrasse erreicht. Eje ließ sich in einen vergoldeten Sessel nieder und wies Nacht-Min an, sich neben ihn zu setzen. Auf einem kleinen Tisch vor ihnen lag ein gekrümmter Wurfstock, wie man ihn zur Entenjagd benutzte. Er war aus Elfenbein geschnitzt, und in ihn war in heiligen Zeichen ein Name eingeritzt: Neb-chepru-Re.
    «Der Herr über alles, was entsteht, ist Re», übersetzte Eje den Thronnamen jenes Pharao, der bei seiner Geburt den Namen Tutanchaton erhalten und der sich später Tutanchamun genannt hatte.
    Von ihm begann Eje an diesem Morgen zu erzählen.

EINS
    Meine Hände auf diesem Kind
    sind die Hände der Isis auf ihm,
    wie sie ihre Hände legte
    auf ihren Sohn Horus.
     
    E chnaton hatte mich mit Prinz Tutanchaton, seinem einzigen Sohn, in die Oase Fajum geschickt, da in Achet-Aton wie in vielen anderen Städten Ägyptens die Pest wütete. Unter Tränen hatte er ihn mir anvertraut, weil er nicht wusste, ob nicht er selbst ein Opfer dieses stillen und schleichenden Todes, den Soldaten aus dem Reich der Hethiter an den Nil geschleppt hatten, werden würde.
    Als ich wenige Wochen später im Palastgarten von Merwer gesehen hatte, wie sich mitten am Tag die Sonnenscheibe verfinsterte und in wenigen Augenblicken sich der Schleier der Nacht über das Land legte, wusste ich, dass ich Echnaton nie hätte verlassen
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