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Der Fluch des Andvari (German Edition)

Der Fluch des Andvari (German Edition)

Titel: Der Fluch des Andvari (German Edition)
Autoren: Thomas W. Krüger
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Angespannte Stille herrscht augenblicklich in dem Gewölbe, als der letzte Mauerstein knirschend zu Boden fällt und in dem kleinen Schutthaufen liegen bleibt. Fackellicht erhellt die Szenerie.
    „Können Sie etwas sehen, Herr Professor?“, fragt einer der Studenten aufgeregt.
    Es sind vier junge Männer, die sich um den Professor drängen, um ebenfalls einen Blick durch die kleine Wandöffnung zu erhaschen. Das Loch ist nur wenige Zentimeter groß, aber die Männer wissen, sie haben gefunden, wonach sie suchen: Ein Hohlraum liegt hinter der Wand verborgen, eine bis dato unbekannte Gruft, tief unten im Wormser Dom.
    Schon seit seiner Jugend ist Professor Neumann diesem Rätsel auf der Spur. Sollte heute der große Tag seines Erfolges sein? Unermüdlich hat Neumann, einer der angesehensten Altertumsforscher im Deutschen Kaiserreich, unzählige Bibliotheksarchive durchforscht und die Baupläne des Doms studiert auf der Suche nach der verschollenen Krypta der legendären Nibelungenherrscher.
    Die Spannung wächst, als Neumann mit einer Lampe durch die Öffnung leuchtet. Staubteilchen fangen sich in dem Lichtschein.
    „Was sehen Sie, Herr Professor?“
    „Mehrere Sarkophage, meine Herren“, antwortet er zufrieden.
    Die Nervosität, die ihn zweifelsohne gepackt hat, ist ihm nicht anzumerken. Er hat seine Gefühlsregungen stets unter Kontrolle, was ihm bei seinen Studenten den Ruf einer besonnenen und gerechten Vaterfigur eingebracht hat. Viele der jungen Männer verehren ihn und folgen ihm begeistert auf seinen archäologischen Schatzsuchen.
    „Wir müssen das Loch vergrößern“, fährt er fort und dreht sich um.
    Schon nehmen die Studenten die Spitzhacken auf und schlagen auf die Wand ein, die knirschend und krachend unter der Wucht der Hiebe nachgibt. Die jungen Männer schuften unverdrossen. Nach und nach vergrößert sich das Loch. Kalkstaub vernebelt die Luft, lässt die Studenten husten. Die schweißtreibende Arbeit presst ihnen die Kleidung kühl und klamm auf die Haut, denn in dem Gewölbe ist es empfindlich kalt. Der Professor betrachtet die Anstrengungen voller Erwartung.
    Die Zeit vergeht, die Spannung wächst.
    Dann ist das Loch endlich groß genug, um hindurchsteigen zu können. Neumann geht als erster. Mit seiner Fackel leuchtet er die Gruft aus. Links zeigt sich eine breite Treppe mit flachen Stufen, die in damaliger Zeit nach oben in den Dom führte. Heute versperrt eine Mauer den Weg. Auf der rechten Seite erheben sich sieben mächtige steinerne Sarkophage. Bei vielen fehlt der Deckel, die wenigen verschlossenen sind mit lebensgroßen Reliefs von Menschen verziert.
    „Haben wir Kriemhild gefunden, Herr Professor?“, fragt einer der jungen Männer aufgeregt.
    Angespannt nähert sich Neumann den beschädigten Sarkophagen. Die Studenten folgen ehrfürchtig.
    „Herr Professor?“
    „Geduld, meine Herren, Geduld.“
    Aufmerksam untersucht er zunächst die offenen Sarkophage. Sie sind völlig leer. Unklar, wer hier bestattet gewesen sein mochte. Zwei weitere Särge sind aufgebrochen. Neumann leuchtet durch die großen Öffnungen am Fußende. Auch diese Särge sind leer. Den Reliefs nach zu urteilen, sind hier Männer bestattet worden. Dann wendet er sich dem letzten Sarg zu, der völlig unversehrt ist. Neumann mustert das Reliefbild. Es zeigt eine weibliche Würdenträgerin. Deutlich sieht er die langen Haare und die sanften Gesichtszüge. Sie muss eine ausgesprochene Schönheit gewesen sein, falls der Bildhauer nicht überzeichnet hat. Eine Krone ziert ihr Haupt, die Hände sind über der Brust zusammengelegt. Der Professor untersucht die Wände der Sargwanne. Lateinische Schrift, zum Teil stark verwittert, erzählt von einem mächtigen und stolzen Königreich. Und da sieht er den Schriftzug: Búrgónden. Das Königreich von Burgund. Die Bestattete muss eine Prinzessin oder Königin gewesen sein.
    Im Zuge der Völkerwanderung verließen die Burgunder ihre angestammte Heimat an der Ostsee und ließen sich schließlich 413 in der Gegend von Worms nieder. Doch auch dort fanden sie keine Ruhe und wurden um 440 von den Hunnen vertrieben. Später siedelten sie in einem neuen Gebiet, das sich um die südfranzösische Stadt Lyon herum erstreckte.
    „Ich kann Sie beruhigen, meine Herren“, äußert der Professor erleichtert. „Unsere Anstrengungen haben sich ausgezahlt.“
    „Wir haben Kriemhilds Grab gefunden“, jubeln die Studenten voll Freude.
    „Kommen Sie“, fordert er sie auf. „Beweisen Sie,
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