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Im Land des Falkengottes. Tutanchamun

Im Land des Falkengottes. Tutanchamun

Titel: Im Land des Falkengottes. Tutanchamun
Autoren: Andreas Schramek
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wir den Nordpalast erreicht hatten. Zwischen sechs anderen Gespannen rasten wir auf einem der Prunkwagen Echnatons erst durch die gewaltigen Tore des Palastes und fuhren dann über die breite Prachtstraße Achet-Atons, die man auch Königsweg nannte, nach Norden in den Wohnpalast Pharaos.
    Noch bevor ich nach Echnatons Töchtern fragte, erteilte ich dem königlichen Schreiber alle nötigen Befehle. Er sah mich mit großen Augen an, denn er verstand nicht, was mich ermächtigte, Befehle zu geben, die ausschließlich Pharao vorbehalten waren.
    «Der Gute Gott ist vor wenigen Stunden für immer von uns gegangen, Maja. Wir alle müssen jetzt sehr stark sein, damit nicht noch mehr Unheil über uns kommt. Du wirst genug Zeit finden, um über den Tod deines Herrn zu trauern. Beeile dich, und tue, wie ich dir gesagt habe!»
    Maja war als junger Mann von weniger als achtzehn Jahren in die Dienste Echnatons getreten und wegen seiner übermäßigen Begabung in kurzer Zeit zum Ersten Schreiber Seiner Majestät aufgestiegen. Er bewegte sich langsam wie eine Schildkröte und verabscheute jede Art körperlicher Ertüchtigung. Sein kurzes, beinahe schwarzes Haar war borstig wie das eines Wildschweins, und wie die meisten Schreiber war er von eher dicklicher und leicht gebückter Gestalt. In seiner Stimme lag manchmal etwas Krächzendes, und sie erinnerte an die eines sich zum Mann wandelnden Knaben. Sein Geist aber war wach und beweglich wie eine Kobra. Seine Gedanken jagten umher wie Falken, die nach Beute spähten.
    Am meisten aber bewunderte ich an ihm die Fähigkeit, mit Schreibbinse und Farbe umzugehen. Wie kein Zweiter in den Beiden Ländern verstand er sich darauf, die heiligen Zeichen unserer Schrift mit Leben zu erfüllen. Er schrieb nicht die streng vorgeschriebenen Zeichen Adler oder Eule, Küken oder Schilfblatt, er malte sie. Er malte sie trotz aller Geschwindigkeit, die er dabei aufzubieten imstande war, in einer Leidenschaft und Genauigkeit, für die ich ihn beneidete. In der wenigen freien Zeit, ihm sein hohes Amt ließ, schuf er Tonfiguren und malte Bilder, die ich zuvor nicht einmal bei Thutmosis, dem Hofbildhauer Echnatons, gesehen hatte.
    «Nein!», stieß er laut hervor, als er die schreckliche Nachricht aus meinem Mund vernommen hatte, und ohne Rücksicht aufdie Würde meiner Person griff seine kleine und stark behaarte Hand nach meiner Schulter, damit er bei mir Halt fand. Mehr zu sagen war er nicht fähig.
    «Es ist wahr, Maja. Der Gute Gott lebt nicht mehr. Aber jetzt zögere nicht länger! Die Befehle sind eilig.»
    Nur langsam wandte er sich von mir ab und zog dabei ängstlich und verlegen den Kopf ein, wie es eine Schildkröte wohl auch getan hätte.
    «Gehen wir zu deinen Schwestern!», sagte ich zu Prinz Tutanchaton, der noch immer meine Hand festhielt.
     
    «Eje! Tutanchaton!», rief uns Anchesen-paaton entgegen, als sie uns in den Palastgarten kommen sah. Sie und Meritaton saßen unter einer Gruppe von Dattelpalmen, wo sie mit zwei ihrer Hofdamen Flöte und Harfe spielten.
    «Ancha!», rief der Prinz und lief auf die fünf Jahre ältere Schwester zu, die er immer nur bei ihrem Kosenamen nannte. «Ancha!», wiederholte er, als er endlich bei ihr war, sie mit beiden Armen fest umklammerte und seinen Kopf gegen ihren Körper presste.
    «Was hast du, mein Kleiner?», fragte sie ihn leise und zärtlich, und kaum hatte sie ihre Frage ausgesprochen, boxte Tutanchatons zierliche Faust gegen den Rücken der Schwester, denn er mochte es nicht, wenn sie ihn «Kleiner» nannte. Dann neigte er den Kopf ein wenig nach hinten und sah mit großen Augen zu Anchas Gesicht hinauf.
    Mit zusammengepressten Lippen pumpte er die Lungen voll Luft, nahm allen Mut zusammen, und dann platzte es aus ihm heraus: «Vater lebt nicht mehr! Er ist vom Palast gestürzt.»
    Dann sah der Knabe mich ganz aufgeregt an, damit ich die entsetzliche Nachricht bestätigte.
    «Was sagst du da?», mischte sich Meritaton aus dem Hintergrund ein und ließ, während sie das sagte, langsam ihre Harfe zur Seite sinken.
    «Eje, sag ihr doch, dass es stimmt. Es ist die Wahrheit!»
    «Er sagt die Wahrheit», bestätigte ich die Worte des Knaben, während ich auf Echnatons älteste Tochter zuging. Ich kniete neben ihr nieder und ergriff ihre rechte Hand.
    «Ich weiß nicht, warum es geschehen ist, doch er hat sich vom Turm des Stadtpalastes hinabgestürzt. Vor wenigen Stunden erst», sagte ich stockend, denn die Bilder des erst vor kurzem erlebten
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