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Im Land des Falkengottes. Echnaton

Im Land des Falkengottes. Echnaton

Titel: Im Land des Falkengottes. Echnaton
Autoren: Andreas Schramek
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dereinst sein würde, häufig nach Merwer zurückkehren möge, als sich eine merkwürdige Stille über den Palastgarten legte. Die Wildantilopen in den Tiergehegen hielten ebenso regungslos inne wie die zahmen Affen, die gerade noch in den Palmen umhergesprungen waren. Die Vögel verstummten, Bienen, Fliegen und Schmetterlinge verließen die Blüten, auf welchen sie gerade saßen, nicht mehr. Wir alle spürten, dass um uns herum etwas Unheimliches geschah, etwas Unfassbares und Einzigartiges, aber noch konnte niemand die Bedrohung erkennen. Ratlos und verängstigt blickten wir umher und suchten nach dem Feind, dem Gott, dem Ungeheuer oder was immer es war, was uns solche Angst einflößte. Ein grauer Schleier legte sich nun plötzlich über das Land, über die Bäume, Sträucher und Häuser.
    Ich blickte empor zum Himmel, hielt mir dabei meinen rechten Arm schützend vor das Gesicht, um immer wieder mit fast zugekniffenen Augen und aufgeregt blinzelnd die Sonnenscheibe anzusehen, denn von dort schien das Unheil zu kommen. Mein linker Arm umfasste Tutanchaton um Brust und Schulter und drückte ihn schützend an mich. Jetzt erkannte ich wie so viele andere um mich herum das entsetzliche Geschehen: In kurzer Zeit nur verhüllte Aton sein Antlitz vor seiner Schöpfung. Eine Finsternis legte sich über das Land, so vollständig, so dunkel, als wäre es Nacht. Die Blumen schlossen ihre Blüten, und die Vögel blieben stumm. Schlangen und Mäuse krochen aus ihren Höhlen, die Eulen erwachten, und die Nachtigall regte sich, um zaghaft die ersten Töne ihres vertrauten Liebesliedes anzustimmen.
    Aton, in dessen Glanz wir eben noch lebten, dessen Strahlen uns Licht und Wärme gaben, hatte uns verlassen.
    Ich starrte hinauf und begann, still für mich zu beten: «Verlasse uns nicht, Du Einziger, denn groß und mächtig bist nur Du! Kehre zurück zu uns, Aton! Kehre zurück!»
    Oder waren es gar die alten Götter, die aus Zorn über ihre Verbannung, die Schließung ihrer Tempel und die Leugnung ihrer Namen Aton straften, ihn aus Rache jetzt vom Himmel verbannten? War es Apophis, das alles vernichtende Ungeheuer der Unterwelt, das den Aton vor unseren Augen auf Geheiß der Götter verschlang?
    Die Menschen um mich herum begannen zu weinen und aufgeregt durcheinander zu schreien. Einige knieten nieder und verbargen verschreckt ihr Antlitz, als würde Pharao vor ihnen stehen. Wieder andere beteten wie ich, einige leise, andere laut. Sie riefen nach Sobek, dem Gott des Fajum, nach Amun und Osiris, dem Herrn des Jenseits.
    «Warum ist es so schnell Nacht geworden, Eje?», fragte mich mein Schützling und sah mit großen Augen zu mir empor.
    «Ich weiß es nicht, Tutanchaton. Ich weiß nur, dass irgendwo Entsetzliches geschieht. Entweder straft Aton uns, oder Aton selbst wird bestraft.»
    «Was wird mein Vater machen, wenn Aton nicht wieder kommt?»
    Echnaton! Das Kind hatte Recht. Was war mit Echnaton? War mit ihm etwas geschehen, oder galt ihm gar die Finsternis?
    «Da! Seht hin!», rief plötzlich einer laut, und wie dieser bemerkte jetzt auch ich, dass die ersten Strahlen der Sonnenscheibe wieder zu sehen waren. Mehr und mehr zeigte Aton sein Antlitz, und schon nach kurzer Zeit war sein Leuchten wieder so stark, dass es mein Auge nicht aushielt, länger hinaufzusehen. In wenigen Augenblicken dämmerte es wieder, die Nachtigall verstummte, und die Amseln schlugen an, so wie sie jeden neuen Tag aufgeschreckt begrüßten. Schlangen und Mäuse verkrochensich verängstigt, und die Blüten begannen, sich zu öffnen, kaum dass sie geschlossen waren. Noch wenige Wimpernschläge, und die Welt erstrahlte wieder im Glanz der Sonne, die Affen sprangen frech umher, und die Fohlen hüpften fröhlich in ihrer Koppel.
    «Er ist wieder da», sagte ich zu Tutanchaton und klopfte ihm dabei väterlich auf die Schulter.
    «Er ist wieder da», wiederholte der Junge zu seiner eigenen Beruhigung.
     
    Ich hatte noch nie in meinem Leben von einer solchen Erscheinung gehört oder gelesen. Kein Priester, kein Gelehrter konnte mir sagen, was da geschehen war. Aber alle hatten es gesehen: Aton hatte vor den Menschen und vor seiner ganzen Schöpfung sein Antlitz vollkommen verhüllt.
    Was immer es war, ich musste zu Echnaton zurückkehren. Ich durfte nicht einen Augenblick zögern, denn nur Echnaton selbst konnte mir und all seinen Untertanen eine Antwort geben. Vielleicht war es eine Ankündigung, eine Warnung Atons, uns für immer zu verlassen. Wer wusste
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