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Im Land der Katharerburgen : Leseproben & mehr (German Edition)

Im Land der Katharerburgen : Leseproben & mehr (German Edition)

Titel: Im Land der Katharerburgen : Leseproben & mehr (German Edition)
Autoren: Helene Luise Köppel
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nicht richtig liegen würde.
    „ Liebe Marie, ich kenne den Abbé Saunière nicht. Wird er dich wohl für eine gewisse Zeit beurlauben, damit du Juliette beistehen kannst, in ihren schweren Tagen? Ich mache mir wirklich große Sorgen um sie.“
    Ich verspürte keine Lust, nach Lyon zu fahren. Gerade jetzt, dachte ich, wo es hier so aufregend wurde, mit all dem Gold und den Pergamenten. Jetzt gerade, wo Bérenger Saunière und ich … Marie, mahnte da mein schlechtes Gewissen. Es sind dein eigener Bruder und deine Schwägerin, die deiner Hilfe bedürfen. Du darfst sie nicht im Stich lassen. Ich seufzte gottergeben und schlich mich ein weiteres Mal ins Treppenhaus, um zu lauschen.
    Außerdem hatte Barthélémy geschrieben, dass die Geschäfte nicht gut gehen würden in Lyon. Die Leute hätten im Augenblick anderes im Sinn, als Bücher zu kaufen. Beim erneuten Abschmecken des Eintopfes – einige Rosmarinnadeln konnten nicht schaden – dachte ich, dass nun auch Juliette lernen musste, dass nichts im Leben Bestand hat. Ich nahm den Brief noch einmal zur Hand.
    „ Die Staatsanleihen des Schwiegervaters, der noch immer zu den Stützen der Lyoner Gesellschaft zählt, werfen nicht mehr so viel ab wie in früheren Jahren, und das Leben ist so teuer wie nie zuvor. Ich will nicht klagen, liebe Schwester, anderen geht es noch viel schlechter. Die Leute erzählen sich wahre Schreckensmärchen von den Zuständen in den neuerrichteten Textilfabriken vor den Toren von Lyon. Dort soll man die Arbeiterinnen mit Riemen über die Maschinen hängen, damit sie gleichzeitig mit ihren Händen und Füßen weben können – und das vierzehn Stunden am Tage! Kannst du dir das vorstellen? Ihr Verdienst ist dennoch so minimal, dass sie aus den Elendsvierteln, die sich wie wahre Ungetüme rings um die Fabriken ausbreiten, niemals herauskommen werden. Wenn man solche Dinge hört, ist man wieder zufrieden mit dem eigenen Los, sehr zufrieden! Wenn wir auch Mühe haben, die beiden Angestellten in der Buchhandlung zu entlohnen, so werde ich die Kosten für Deine Zugkarte nach Lyon schon aufbringen können.“
    Wie gnädig! Die paar Franc für die Zugkarte würden mich nicht arm machen. Wieder dachte ich an das Gold. In meiner Phantasie sah ich mich an diesem Vormittag bereits als reiche junge Dame in Pariser Modellkleidern umherstolzieren und in Lyon großzügig Geschenke verteilen. Juliette würden die wasserblauen Äuglein aus dem Kopf fallen … Der Duft des Cassoulets war es, der die beiden Priester zwei Stunden später wieder ins Leben zurückrief.
    „Oh, oh, oh, Marie!“ rief Boudet verzückt, als er auf löchrigen Socken die Treppe herunterschlich. Was hatte er nur für eine Haushälterin! Nicht lange darauf kam auch Saunière zum Vorschein, die Haare zerzaust, vier Stiefel in den Händen. Unwiderstehlich. „Ja, ich glaube, mein Magen könnte auch etwas Handfestes vertragen“, sagte er, Boudet ein Paar Stiefel zuwerfend und mir übermütig zuzwinkernd.
    Kaum hatten wir uns am Küchentisch niedergelassen, disputierten sie auch schon weiter über einen bestimmte Bibeltext, nämlich Lukas 6, 1–5, wo es um das Ährenraufen geht. Mehrere Male verglichen sie diese Stelle (die sie auf dem kleineren Pergament gefunden hätten, wie sie sagten) mit irgendwelchen Übersetzungen aus dem Griechischen und Hebräischen. Sie stritten heftig, legten den Text in diese, dann in eine andere Richtung aus, um letztere sogleich wieder zu verwerfen. Ihr Mund war voller Bohnen, sie kauten, gestikulierten, schluckten und redeten zugleich. Später war von einer Genealogie der Grafen von Rhedae die Rede, Nachkommen der merowingischen Könige; von Blanca von Kastilien und einem gewissen D`Aniort – einem Herrn von Rennes, der Übergabebedingungen ausgehandelt hätte, welche genau, das müsse man noch herausfinden.
    Bei all dem Gerede konnten sie von meinem guten Cassoulet gar nichts schmecken.
    Und ich wiederum – ich verstand nichts, gar nichts von alledem. Ich sollte aber auch gar nichts verstehen. Die beiden machten sich nicht die geringste Mühe, mir etwas zu erklären. Ich fühlte mich überflüssig. Mädchen, sagte ich zu mir, es wird höchste Zeit, dass du auf den Boden der Tatsachen zurückkehrst. Du bist und bleibst die törichte Magd.
    Stolz und trotzig zugleich, achtete ich dennoch auf jedes Wort. Nachdem sie längere Zeit über die Hochzeit zu Kana diskutiert hatten (die in Auszügen das große Manuskript beinhalten würde), rief Boudet plötzlich
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