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Im hohen Gras

Im hohen Gras

Titel: Im hohen Gras
Autoren: S King
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Zertrümmerte Wirbel und gebrochene Rippen heilen, aber sie hören nie auf, sich zu melden.
    Eine Weile lebten Winifred und Daniel Torrance im mittleren Süden, dann zogen sie nach Tampa weiter. Gelegentlich kam Dick Hallorann (der Mann mit den starken Ahnungen) aus Key West angefahren, um sie zu besuchen. Vor allem den jungen Danny. Zwischen den beiden bestand eine besondere Verbindung.
    Eines frühen Morgens im März 1981 rief Wendy bei Dick an und bat ihn zu kommen. Danny, sagte sie, habe sie mitten in der Nacht aufgeweckt und ihr gesagt, sie solle nicht ins Bad gehen.
    Danach habe er sich geweigert, auch nur ein einziges weiteres Wort zu sagen.
    3
    Er wachte auf, weil er pinkeln musste. Draußen wehte ein starker Wind. Es war warm – in Florida war es das fast immer –, aber er mochte das Geräusch nicht, und daran würde sich wahrscheinlich auch nie etwas ändern. Es erinnerte ihn an die Zeit im Overlook, als der defekte Kessel die geringste Gefahr dargestellt hatte.
    Danny und seine Mutter lebten in einer engen Wohnung im ersten Stock eines Mietshauses. Er verließ sein kleines Zimmer neben dem seiner Mutter und überquerte den Flur. Eine Windbö fuhr in die sterbende Palme neben dem Haus und ließ ihre Blätter rascheln, was wie das Klappern von Knochen klang. Wenn niemand die Dusche oder die Toilette benutzte, stand die Badezimmertür immer offen, weil das Schloss kaputt war. In dieser Nacht war die Tür geschlossen. Allerdings nicht, weil seine Mutter da drin war. Wegen der Gesichtsverletzungen, die sie im Overlook erlitten hatte, schnarchte sie beim Schlafen immer – ein leises, pfeifendes Geräusch, das er aus ihrem Zimmer kommen hörte.
    Ach, dachte er, bestimmt hat sie die Tür versehentlich geschlossen, das ist alles.
    Er wusste es besser, schon damals (auch er hatte starke Ahnungen und Eingebungen), aber manchmal musste man es eben ganz genau wissen. Manchmal musste man es sehen . Das hatte er im Overlook herausgefunden, in einem Zimmer im ersten Stock.
    Mit einem Arm, der ihm zu lang vorkam, zu dehnbar, zu knochenlos , drehte er den Knauf und öffnete die Tür.
    Da war die Frau aus Zimmer 217, wie er gewusst hatte. Sie saß nackt mit gespreizten Beinen und prallen, bleichen Oberschenkeln auf der Toilette. Ihre grünlichen Brüste hingen herab wie schlaffe Luftballons. Das Haarbüschel unter ihrem Bauch war grau. Auch ihre Augen waren grau wie Aluminiumspiegel. Als sie ihn sah, verzogen ihre Lippen sich zu einem Grinsen.
    Mach die Augen zu, hatte Dick Hallorann ihm einmal gesagt. Wenn du etwas Schlimmes siehst, mach einfach die Augen zu, und sag dir, dass es nicht da ist, und wenn du sie wieder aufmachst, ist es fort.
    Aber das hatte schon damals, als er fünf Jahre alt gewesen war, in Zimmer 217 nicht funktioniert, und jetzt funktionierte es sicher auch nicht. Das wusste er. Er konnte die Frau riechen . Sie war dabei zu verwesen.
    Die Frau – er kannte ihren Namen, es war Mrs. Massey – erhob sich schwerfällig auf ihre violetten Beine und streckte die Hände nach ihm aus. Das Fleisch hing an ihren Armen herab, als würde es tropfen. Sie lächelte, als sähe sie einen alten Freund. Oder vielleicht etwas Gutes zu essen.
    Mit einem Ausdruck, den man fälschlich für Gelassenheit hätte halten können, schloss Danny leise die Tür und trat einen Schritt zurück. Er sah, wie der Knauf sich drehte, nach rechts … nach links … wieder nach rechts … und dann innehielt.
    Inzwischen war er acht Jahre alt und trotz dieses Horrors zumindest einiger rationaler Gedanken fähig. Teilweise deshalb, weil er so etwas in einem tiefen Winkel seines Denkens erwartet hatte. Allerdings hatte er immer gedacht, wenn irgendwann jemand auftauchte, würde es Horace Derwent sein. Oder vielleicht der Barkeeper, den sein Vater Lloyd genannt hatte. Aber schon bevor es endlich so weit war, hätte er wissen müssen, dass es Mrs. Massey sein würde. Weil sie von allen untoten Dingen im Overlook am schlimmsten gewesen war.
    Der rationale Teil seines Denkens sagte ihm, die Frau sei nur ein Bruchstück irgendeines schlimmen Traums, an den er sich nicht mehr erinnerte und der ihm aus dem Schlaf durch den Flur bis ins Bad gefolgt war. Dieser Teil behauptete steif und fest, wenn er die Tür wieder öffnete, würde nichts dahinter sein. Bestimmt nicht, denn jetzt war er ja wach. Doch ein anderer Teil von ihm, ein Teil, der hellsichtig war, wusste es besser. Das Overlook war nicht mit ihm fertig, noch nicht. Mindestens einer der
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