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Im Angesicht der Schuld

Titel: Im Angesicht der Schuld
Autoren: Sabine Kornbichler
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genug ist, um meinen besten Freund umzubringen. Vielleicht … wenn mein Leben davon abhinge … « Sie schüttelte nachdenklich den Kopf. » Angeblich heißt es ja, jeder Mensch könne zum Mörder werden, wenn nur der richtige Nerv getroffen werde. Vielleicht ist es aber auch so wie bei einem Flugzeugabsturz, wo es fast nie nur eine Ursache gibt. Ich weiß es nicht. «
    Ich dachte über ihre Worte nach. » Was wäre gewesen , wenn Joost Annette vor der Kanzlei in die Arme gelaufen wäre? Oder wenn Gregor anstatt auf den Balkon zur Tür gegangen wäre, um Joost loszuwerden? Würde er dann vielleicht noch leben? «
    » Das ist sehr gut möglich, Helen, aber es war nicht so. «
    » Weißt du, was seltsam ist, Claudia? Dort, wo die Gefühle sein müssten, die Gregors Mörder verdient, ist ein weißer Fleck. Wie wird es sein, wenn ich erst einmal wirklich verinnerlicht habe, dass Joost es war, der meinen Mann getötet hat? Wird mein Leben dann von Hass vergiftet sein? «
    Sie sah mich eindringlich an. » Nur wenn du es zulässt. «
    » Die Beamten haben mir zum Abschied gesagt, ich solle Joost nicht die Macht geben, auch noch mein Leben zu zerstören. Aber ein Teil meines Lebens ist unwiderruflich zerstört. Ohne Gregor kann es nie wieder so sein wie vorher. « Ich erinnerte mich an Franka Thelens Worte über den flüchtigen Augenblick. » Es war nur ein Sekundenbruchteil, der über Gregors Leben entschieden und das Leben von allen Beteiligten verändert hat. Seitdem … « Ich hatte sagen wollen: Seitdem ist nichts mehr, wie es war. Aber das stimmte nicht ganz. Ich holte tief Luft und sah sie an. » Ich weiß nicht, was ich in den vergangenen Wochen ohne meine Familie und meine Freunde gemacht hätte. Danke! «
    In ihrem Blick lag eine Ruhe, von der ich noch weit entfernt war. Sanft strich sie über meine Hand und lächelte mich an. » Was hältst du jetzt davon, aufzustehen und weiterzugehen –Schritt für Schritt, den Blick auf das kleine Stück Weg vor dir gerichtet? «
    Vorsichtig stellte ich die Füße auf den Boden. » Gregors Ra t schlag, hm? «
    Sie nickte. » Er war ein kluger Mann. «
     
    D ie vergangenen zweiunddreißig Tage hatten ihre Spuren hinterlassen. Ich war körperlich und seelisch erschöpft. Die Erleichterung, dass Gregors Mörder gefasst war, empfand ich nur oberflächlich. Sie hatte nicht genügend Kraft, um gegen den Schmerz anzukommen.
    Nachdem ich Jana an diesem Abend ins Bett gebracht hatte, ließ ich mich aufs Sofa sinken und hielt stumme Zwiesprache mit Gregors Foto. Später hätte ich nicht mehr sagen können, aus welchen Gedanken mich das Klingeln an der Tür in diesem Moment gerissen hatte. Die zehn Minuten, die folgen sollten, haben in meiner Erinnerung alles andere ausgelöscht.
    Als ich die Tür öffnete, sah ich in Annettes Gesicht, über das sich in den letzten Tagen dunkle Schatten gelegt hatten. Ihre Lippen waren zusammengepresst. Sie starrte mich an.
    » Es ist noch zu früh, Annette, ich bin noch nicht so weit «, sagte ich. » Lass uns ein anderes Mal reden. «
    Ihre Hand, mit der sie mich beiseite schob, war eiskalt. Wie ein Roboter bewegte sie sich durch den Flur, schaute zuerst in die Küche und verschwand dann im Wohnzimmer.
    Ich lief ihr hinterher. » Annette, ich möchte, dass du … « We i ter kam ich nicht. Wie hypnotisiert blieb ich stehen.
    Kaum hatte sie Gregors Foto vom Tisch genommen, verzog sich ihr Mund zum Zerrbild eines Lächelns. Dann zerschlug sie Rahmen und Glasscheibe an der Tischkante. Ganz langsam zog sie das Foto unter den Scherben hervor. Nachdem sie es ein paar Sekunden lang betrachtet hatte, hob sie den Blick zu mir.
    » Du bist schuld «, sagte sie mit rauer Stimme. » Du hast ihn mir genommen. Konntest es nicht verwinden, dass dein Mann tot ist, musstest mir auch gleich meinen nehmen. Damit ich nur nicht mehr habe als du. «
    Langsam erwachte ich aus meiner Erstarrung. » Annette, lass uns … «
    » Halt den Mund! «
    Erst jetzt sah ich, dass sie in der anderen Hand eine große Glasscherbe hielt. Ich trat einen Schritt zurück.
    » Du hast alles zerstört … alles … « Sie strich mit der Gla s scherbe über das Foto. Blut tropfte von ihren Fingern darauf.
    » Ich hole dir ein Pflaster «, sagte ich und lief hinaus. Auf dem Weg zum Bad schloss ich leise Janas Zimmertür ab und steckte den Schlüssel in meine Hosentasche. Während ich mit zitternden Fingern zwei Pflaster abschnitt, hörte ich Annette im Woh n zimmer reden. Verstehen konnte ich
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