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Ich war seine kleine Prinzessin

Ich war seine kleine Prinzessin

Titel: Ich war seine kleine Prinzessin
Autoren: Nelly
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mehr die deprimierte, verschlossene Nelly aus der Zeit, als ich
nicht den Mund aufzumachen wagte. Vielleicht hast Du mich ja im Fernsehen
gesehen. Was wirst Du wohl dabei gedacht haben? Wahrscheinlich hast Du
gestaunt, daß Deine Kleine plötzlich kein Blatt mehr vor den Mund nahm, während
ich jahrelang geschwiegen und auch damals, als Du mir weh tatest, kein Wort
hervorgebracht hatte. Du hast wirklich geglaubt, ich würde für den Rest meines
Leben schweigen, nicht wahr? Irrtum, Papa. Ich bin nie deine Komplizin gewesen.
Ich war nie damit einverstanden, was Du mit mir gemacht hast.
    Reden war für mich die beste Therapie.
Man wollte mich immer wieder zu irgendeinem Psychologen schicken, aber
dickköpfig, wie ich bin, habe ich mich strikt geweigert, mich einem Arzt
anzuvertrauen. Das war vermutlich falsch. Wer sexuell mißbraucht worden ist,
sollte unbedingt ärztliche Hilfe in Anspruch nehmen. Ohne Therapeuten schafft
man es nicht. Aber ich konnte mich nicht mit dem Gedanken anfreunden, mit einem
Unbekannten über meine Probleme zu sprechen. Der sitzt ja doch nur da, weil er
dafür bezahlt wird; im Grunde interessiert ihn meine Geschichte überhaupt
nicht, dachte ich. Das war natürlich idiotisch. Aber dann ging es auch ohne
Psychologen. Als ich im Fernsehen darüber sprach, hat mir das unheimlich gut
getan. Es wirkte richtig befreiend. Und es hat mir sehr geholfen.
    Du hast bestimmt mächtig gestaunt, ich
meine, nachdem ich mich in der Verhandlung doch so unbeholfen angestellt hatte
und stumm wie ein Fisch im Wasser war. Im Fernsehen, vor Tausenden von
Zuschauern, ging es dann plötzlich. Ich konnte reden, und ich habe erzählt, wie
es wirklich war. Du bist mir sicher böse deswegen. Aber ich weiß, daß ich das
Richtige getan habe. Ich bereue es nicht. Mit meiner Aussage habe ich etlichen
Mädchen, etlichen kleinen Nellys, geholfen. Ich hoffe, Dir hat die Sendung
einen Denkanstoß gegeben. Vielleicht siehst Du die Dinge heute anders, nämlich
vom Standpunkt des Kindes aus.
    Ich weiß nicht, wie ich Dir das sagen
soll. Deine Heiratspläne, weißt du... Noch kurz bevor Du von der Polizei
abgeholt worden bist, hast Du wieder vom Heiraten gesprochen. Du wolltest mich
überreden, mit Dir ins Ausland zu fliehen, damit wir heiraten könnten.
Erinnerst Du Dich? Ich war zwölf damals. Ich habe mich nicht getraut, Dir zu
widersprechen. Aber weißt Du was? Ich bin froh, daß nichts daraus wurde. Das
war doch wirklich Schwachsinn, auch wenn ich ein ganz klein wenig daran
geglaubt habe — wie ein Kind eben an solche Märchen glaubt.
    Ich habe gelernt, mit einem Jungen
auszugehen, Spaß zu haben, mich auf ihn einzulassen, ohne gemein oder aggressiv
zu werden. Ich kann endlich einen Freund haben, einen gleichaltrigen, zum
Händchenhalten, Schmusen, zu harmlosen Dingen eben. Ich kann mich endlich
verlieben, ohne Angst vor Dir haben zu müssen. Weißt Du noch, wie ich das erste
Mal mit einem Jungen ausgegangen bin? Du hast mich angeschrieen, hast gebrüllt,
dazu hätte ich kein Recht. Du warst eifersüchtig.
    Wenn ich heute nach Hause komme, ist
niemand mehr da, der an meinen Haaren und an meinen Fingern und an meinem Atem
riecht, um festzustellen, ob ich mit einem Jungen zusammen war oder nicht.
    Seit einiger Zeit bin ich
ausgeglichener. Ich lächle, ich kann lustig sein. Ich mache alles, was ein
junges Mädchen eben so macht, und das ist herrlich, das ist rein und unverdorben.
Ich brauche nicht länger wie eine »kleine Frau« zu leben.
    Das hört sich alles unheimlich lässig
und erwachsen an, aber ich kann Dir sagen, ich habe eine fürchterliche Wut auf
Dich. Es sind Dinge passiert, die einfach unverzeihlich sind. Und es ist zuviel
zu Bruch gegangen. Du hast mir meine Kindheit und meine Jugend kaputtgemacht.
Für mich hat es kein »erstes Mal« gegeben, keinen »ersten Jungen«. Und dabei
ist das so wichtig. Und das ist nicht alles, Du hast mir noch eine Menge andere
Dinge genommen. Aber ich mag nicht darüber reden. Wozu auch.
    Deinetwegen hat man uns Leila
weggenommen. Du weißt, wie sehr wir sie liebten. Wir haben auch unser Häuschen,
unser geliebtes Häuschen verloren. Wir haben alles verloren. Durch Deine
Schuld. Kein Mensch kann sich vorstellen, was für katastrophale Folgen der
sexuelle Mißbrauch eines Kindes hat. In jeder Hinsicht. Nicht nur für das
kleine Opfer, sondern für alle Beteiligten...
    Mama und ich haben viel miteinander
geredet seit damals. Wir haben das Versäumte nachgeholt. Heute stehen wir uns
sehr
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