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Ich war seine kleine Prinzessin

Ich war seine kleine Prinzessin

Titel: Ich war seine kleine Prinzessin
Autoren: Nelly
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eine
Zwölfjährige sich schämen könnte, über solche Dinge zu reden?« fragte Patrick.
Großmutter sah ihn erstaunt an. »Sich schämen? Weswegen denn? Niemand, der sich
aus einer mißlichen Lage befreien will, braucht sich für irgend etwas zu
schämen. Nein, nein, sie hat nichts gesagt, weil sie damit einverstanden war.«
Und an die anderen gewandt, fügte sie noch einmal bekräftigend hinzu: »Meiner
Meinung nach hat sie geschwiegen, weil sie damit einverstanden war.«
    Patrick fragte nach: »Trauen Sie einer
Zwölfjährigen das tatsächlich zu?«
    Die Antwort meiner Großmutter: »Nelly
war ein aufgewecktes Mädchen und sehr reif für ihr Alter. Vielleicht wollte sie
die Rolle ihrer Mutter übernehmen. Vielleicht war sie sich über die
Konsequenzen nicht im klaren. Ich behaupte ja nicht, daß es ihre Schuld war.«
    Dann sprach sie über meinen Vater: »Als
er nach den vier Tagen in Untersuchungshaft zu mir kam, benahm er sich wie ein
Fünfjähriger. Er spielte mit einem Teddybären oder mit Spielzeugautos. Ihn in
diesem Zustand zu sehen tat mir in der Seele weh. Er war nicht ganz richtig im
Kopf. Er hätte dir das niemals angetan, wenn er bei klarem Verstand gewesen
wäre. Du hättest zu uns kommen müssen, Nelly.«
    Meine Tante sagte in etwa das gleiche,
wenn auch mit weniger harten Worten. Danach äußerten sich die anderen Gäste.
Dann wurde ein kurzer Filmbericht eingespielt. Er zeigte Dorfbewohner, die
aussagten, mein Vater sei niemals zu so einer Tat fähig. »Was wissen diese
Leute denn schon über uns, über unser Familienleben?« warf ich ein. »Sie sehen
nur die Fassade, sonst nichts.«
    Unter den Zuschauern befand sich auch
ein Hobbypädagoge namens Laurent. Er war sechsundzwanzig und wohnte ebenfalls
im Dorf meiner Großeltern. »Also ich halte diese ganze Geschichte für ziemlich
unwahrscheinlich«, sagte er. »Könnte es nicht sein, daß alles ganz harmlos
angefangen hat, mit kleinen Spielchen, wie sie für Zwölf-, Dreizehnjährige
durchaus normal sind? In dem Alter versucht man herauszufinden, wer man ist,
man versucht seine Grenzen auszuloten, hat außerdem jede Menge Probleme mit den
Eltern, und man spielt kleine Spielchen mit den Erwachsenen. Vielleicht ist das
Ganze dann einfach ausgeartet. Ich würde weder dem Mädchen noch dem Vater die
alleinige Schuld geben wollen, schließlich sind auch noch andere Personen
beteiligt gewesen.«
    Er wandte sich an meine Mutter: Könne
es nicht sein, daß sie sich von ihrem Mann habe scheiden lassen wollen und ihr
die ganze Sache daher sehr gelegen kam? Mama fragte ihn, ob er den Verstand
verloren hätte.
    »Sind Sie der Ansicht, man müsse
Verständnis zeigen für das, was Nellys Vater getan hat?« wollte Patrick Meney
von Laurent wissen. »Ich denke, in einer stark depressiven Phase könnte jeder
in diese Situation kommen. Sicher ist das eine schlimme Sache, aber
ausschließen möchte ich nicht, daß so etwas passieren kann. Man kann sich nicht
hundertprozentig davor schützen, meine ich. Man hat einen schlechten Tag, wird
vielleicht provoziert... Niemand ist vor solchen Dingen wirklich sicher.« »Sie
sind sich der Schwere des Vergehens bewußt?« »Allerdings, dennoch halte ich es
für denkbar.«
    Auch von den Nachbarn sagten die
meisten zugunsten meines Vaters aus. Ein junger Vater meinte: »Sie hätte doch
sagen können: Hör mal, Papa, ich bin deine Tochter, das geht nicht, was du da
machst. Reiß dich gefälligst zusammen. Ich bin deine Tochter, respektier das
bitte. Damit wäre der Fall erledigt gewesen. Aber sie hat geschwiegen. Also war
sie damit einverstanden.«
    »Hast du vorhin nicht zugehört oder
was?« schrie ich ihn an. »Ich war zwölf Jahre alt!«
    »Ja, sicher, aber mit zwölf hat man
doch schon ein bißchen Verstand, oder?«
    »Mein Vater ist einsfünfundachtzig
groß. Ich war klein und zierlich. Mein Vater ist kräftig, der reinste
Kleiderschrank. Hätte ich da vielleicht keine Angst haben sollen?«
    Nein, seiner Meinung nach nicht: »Ich
kenne deinen Vater sehr gut. Wir haben viele Jahre nebeneinander gewohnt. Der
kann doch keiner Fliege was zuleide tun.« Seine Frau ergriff das Wort. Auch sie
glaubte nicht an diese Geschichte. »Wenn ich den Mann nicht kennen würde, ja,
dann hätte ich es sofort geglaubt, aber dein Papa? Niemals!«
    Die Atmosphäre war spannungsgeladen,
explosiv. Aber immerhin war alles gesagt worden, was zu sagen war. Jeder hatte
den Mut besessen, sich zu seiner Meinung zu bekennen. Unsere
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