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Ich war seine kleine Prinzessin

Ich war seine kleine Prinzessin

Titel: Ich war seine kleine Prinzessin
Autoren: Nelly
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seinem
Vater«, sagte sie an meine Großmutter gewandt. »Die Vorstellung, der Vater
könnte den Körper seines Kindes als Sexualobjekt betrachten und gebrauchen, ist
so ungeheuerlich, daß das Kind oder der Jugendliche gar nicht auf diesen
Gedanken kommt. Und wenn es dann passiert, ist die Bestürzung, die
Fassungslosigkeit, der Schmerz unendlich groß. So groß, daß es dem Opfer
buchstäblich die Sprache verschlägt. Es ist gar nicht fähig auszudrücken, was
da geschieht, was in ihm vorgeht. Das Vertrauen des Kindes zu den Erwachsenen,
zu allen Erwachsenen, geht verloren. Es ist nicht mehr imstande, sich ihnen
mitzuteilen. Das ist ein klinisches, ein psychologisches Symptom. Dem Kind darf
man dieses Verhalten nicht zum Vorwurf machen, das wäre ein grober Fehler.«
    Meine Großmutter sah die Ärztin an,
diese großgewachsene, sanfte Frau, die die Vorgänge so phantastisch erklären
konnte, und sagte: »Ich verstehe. Da war ein innerer Widerstand, den Nelly
nicht überwinden konnte.«
    Ich glaube, diese eine Stunde ist für
viele aufschlußreich gewesen. Nach unseren Diskussionen müßte deutlich geworden
sein, warum ich gerade so und nicht anders reagiert hatte. Und ich denke, viele
wußten danach besser Bescheid über das Thema Kindesmißbrauch innerhalb der
Familie. Mir war auf einmal ganz leicht zumute, und das Gefühl, schmutzig zu
sein, verschwand schlagartig. Ich fühlte mich rein und unbefleckt...
     
    Gleich am anderen Tag fuhr ich ins Dorf
meiner Großeltern, dem Heimatdorf meines Vaters, das auch ich immer noch als
meine Heimat betrachtete. Dort hatten meine Eltern sich kennengelernt und
geheiratet. Dort bin ich getauft worden und habe die ersten Jahre meines Lebens
verbracht. Später, als wir nicht mehr dort wohnten, gab es ständig irgendeinen
Anlaß hinzufahren: Ich besuchte Freundinnen oder meine Großeltern oder trieb
Sport.
    Hier im Dorf waren auch die gemeinen
Gerüchte über mich verbreitet worden. Aber nach der Fernsehsendung ging ich
hocherhobenen Kopfes durch die Straßen. Ich schämte mich nicht mehr, und ich
hatte keine Angst mehr. Eine alte Dame kam auf mich zu und sagte lächelnd:
»Bravo, Nelly, ich habe dich im Fernsehen gesehen. Das war ganz richtig, was du
da gesagt hast.«
    Mehrere Millionen Zuschauer hatten die
Sendung gesehen. Tausende schrieben mir ermutigende Zeilen. Die Briefe kamen
von überall her. Viele stammten von Mädchen oder Frauen, die selbst von einem
Verwandten mißbraucht worden waren und aus Scham geschwiegen hatten. Ich konnte
nicht alle Briefe beantworten, es waren einfach zu viele. Ich bitte um
Verständnis.
    Manchmal kamen mir beim Lesen die
Tränen. Eine junge Frau schrieb: »Du hast sehr viel Mut gezeigt, Nelly, gestern
abend im Fernsehen. Im Gegensatz zu Dir habe ich bis zuletzt geschwiegen, und
mein Vater ist nie vor Gericht gekommen. Ich bin jetzt dreiundzwanzig. Passiert
ist es vor elf Jahren. Ich leide immer noch darunter. Du wirst sehr viel Zeit,
Geduld und Kraft brauchen, um damit fertig zu werden. Halte durch, Nelly!«
    Ein junger Mann suchte Rat bei mir:
»Einer meiner Cousinen, die mit mir zusammen aufgewachsen ist, ist das gleiche
widerfahren wie Dir, Nelly. Aber meine Eltern haben die Angelegenheit
vertuscht. Mich belastet das sehr. Ich würde gern mit meiner Cousine darüber
reden, sie trösten, ihr zu helfen versuchen. Ich glaube, besser als jeder
andere kannst Du, Nelly, mir raten, wie ich das Problem auf behutsame Weise
anpacken kann.«
    Eine Frau, die inzwischen Großmutter
ist, schrieb mir ihre Geschichte: »Ich habe Deine Sendung mit großer
Erschütterung verfolgt. Als ich zehn Jahre alt war, ist mir das gleiche
passiert wie Dir. Zum erstenmal in all den Jahren verspüre ich das Bedürfnis,
darüber zu reden. Du bist die erste, der ich alles anvertrauen möchte. Ich bin
von meinem Stiefvater mißbraucht worden. Es fing damit an, daß er mich auf den
Mund küßte. Bald wurde ein Zungenkuß daraus. Jeden Abend wartete er, bis meine
Mutter und mein Bruder schliefen, dann kam er zu mir an mein Bett. Ich war zehn
Jahre alt. Ich wußte nichts über Sex, meine Mutter hatte nie mit mir über diese
Dinge gesprochen. Ich wehrte mich, aber er hielt mich fest. Ich konnte nicht
einmal schreien. Ich hatte Angst, er schlägt mich. Ich hätte am liebsten das
ganze Haus zusammengeschrien, aber ich konnte nicht. Ich war ein kleines
Mädchen und körperlich noch nicht entwickelt...«
    Die Briefe und die Zeitungsartikel habe
ich alle aufgehoben. Der Verein
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