Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Ich war seine kleine Prinzessin

Ich war seine kleine Prinzessin

Titel: Ich war seine kleine Prinzessin
Autoren: Nelly
Vom Netzwerk:
das
Landschaftsbild; dazwischen liegen einsame Höfe. Hierher verirren sich nicht
viele Fremde. Wer aus dem Norden kommt und Richtung Süden will, benutzt die
Autobahn und fährt durch, ohne anzuhalten.
    Ich liebe diese Gegend sehr, weil das
Wetter schön ist und die Leute freundlich sind. Die Pariser belächeln unseren
Akzent. Ich habe auch diesen singenden Tonfall, und ich bin stolz darauf. Mein
Vater stammt aus der Gegend hier. Meine Mutter kommt aus dem Norden. Sie haben
sich im Urlaub kennengelernt und sehr jung geheiratet: Mama war sechzehn und
Papa siebzehn. Ich bin in ländlicher Stille und guter, frischer Luft
aufgewachsen und habe insofern großes Glück gehabt. Ich hatte sogar meine
eigenen Haustiere, ein Huhn und drei Hunde, die ich Toby, Barri und Titine
nannte.
    Mein Haus, ein niedriges,
eingeschossiges, rosarot verputztes Gebäude, stand einsam mitten im Wald. Mein
Vater hat es größtenteils selbst gebaut, und wir, das heißt meine Mutter, mein
Bruder, meine Schwester und ich, haben ihm dabei geholfen. Es war unser Haus,
und wir hatten es ganz für uns allein. Es war wirklich toll dort. Und lustig.
Ich hatte eine Menge Spaß.
    Das nächste Dorf lag zwei Kilometer
entfernt. Es war eine reizende Ortschaft. Aus Naturstein errichtete Häuser mit
Hohlziegeldächern säumten die engen Straßen. Die Kirche hatte einen kleinen
Turm, und die Turmuhr schlug zu jeder Stunde. Auf dem Dorfplatz stand eine
riesige Platane. Und am Dorfplatz lag auch meine Schule. Grüne Fensterläden,
zwei Klassenzimmer, ein Speisesaal: ein richtiges Puppenhaus. Hier habe ich
lesen und schreiben gelernt. Danach bin ich in Orange aufs Gymnasium gegangen.
    Wir sind drei Kinder, zwei Mädchen und
ein Junge. Ich, Nelly, bin die Älteste. Ich bin 1977 geboren. Mein Bruder Laury
kam 1978 zur Welt und meine Schwester Sandy 1980.
    Ich war groß für mein Alter. Aber mit
meinen schwarzen, lockigen Haaren, die mir fast bis zur Taille reichten, der
Zahnspange und den flachen Schuhen sah ich eben doch noch wie ein kleines
Mädchen aus. Ich dachte und ich spielte wie ein Mädchen meines Alters, und ich
war froh darüber.
    Mein Bruder Laury und ich sind nicht
weit auseinander, und trotzdem reichte er mir nur bis zur Schulter. Er war ein
richtiger Lausbub, aber sehr anhänglich und auch sehr sensibel. Er lief oft zu
Mama, um mit ihr zu schmusen. Papa hat sich nicht viel um ihn gekümmert. Sandy,
das Nesthäkchen, hat im Gegensatz zu mir wunderschöne grüne Augen (meine sind
fast schwarz). Deshalb hat Mama ihr den Spitznamen Prunelle — Augapfel — gegeben.
Sandy war ein liebes Ding, aber furchtbar ängstlich. Sie geriet schon in Panik,
wenn bloß jemand die Stimme hob. Mit ihr hat sich Papa genausowenig beschäftigt
wie mit meinem Bruder. Der Liebling meines Vaters, das war ich.
    Jeden Morgen um halb neun stiegen wir
in den Schulbus. Abends brachte uns der gleiche Bus wieder zurück. Die Straße
schlängelte sich an Weinbergen und Obstgärten vorbei und durch den Wald bis zur
Haltestelle oben auf der Anhöhe. Dort stiegen wir aus, überquerten die
Landstraße und bogen in den vom Regen ausgewaschenen und auf beiden Seiten von
Zypressen gesäumten Schotterweg ein. Laury, Sandy und ich trödelten immer auf
diesem Sträßchen, das bergauf, bergab in den Wald hineinführte. An einer Stelle
stand ein großer Feigenbaum. Auf den kletterte ich regelmäßig, pflückte die wilden
Früchte und aß sie gleich an Ort und Stelle. Dann kamen die Brombeersträucher
an die Reihe. Von den Beeren hatte ich immer blauschwarze Finger und Flecken an
den Kleidern. Im September oder Oktober waren die Trauben reif. Und im Winter
fiel manchmal genug Schnee für eine Schneeballschlacht, oder wir schlitterten
über gefrorene Wasserlachen.
    Dieser eine Kilometer von der
Haltestelle bis nach Hause steckte für uns Knirpse voller aufregender
Abenteuer. Manchmal hörten wir seltsame Geräusche und stellten uns vor, im
Gestrüpp lauerten irgendwelche wilden Tiere oder Bösewichte. Dann rannten wir
den ganzen Weg bis nach Hause, wo wir uns in Sicherheit glaubten. Was haben wir
auf diesem einen Kilometer für Unfug angestellt!
    Obwohl wir ganz allein mitten im Wald wohnten,
unser Grundstück nicht eingezäunt war und der Wind oft in den Kiefern ringsum
heulte, hatten wir nie Angst. Wir fühlten uns geborgen, denn Papa und Mama
waren ja da und beschützten uns. Für mich war das das vollkommene Glück: eine
richtige Familie zu haben und eine Menge Liebe zu bekommen — ich von
Vom Netzwerk:

Weitere Kostenlose Bücher