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Ich war seine kleine Prinzessin

Ich war seine kleine Prinzessin

Titel: Ich war seine kleine Prinzessin
Autoren: Nelly
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Vorwort
     
     
     
    Ich war zwölf Jahre alt. Papa sagte:
»Wir zwei sind wie Romeo und Julia. Wir haben eine schöne Liebesgeschichte
miteinander.« Ich liebte ihn. Er war ein Held für mich. Ein Gott. Und ich war
sein Liebling, seine kleine Prinzessin. Weshalb sollte es nicht eine
Liebesgeschichte zwischen einem Papa und seinem kleinen Mädchen geben können?
Ich glaubte ihm. Aber später hat er mich mit Mama verwechselt. Er hat mit mir
geschlafen wie mit einer erwachsenen Frau. Und das Märchen verwandelte sich in
einen Alptraum...
    Vier Jahre sind seit damals, seit der
Vergewaltigung, vergangen. Ich bin jetzt sechzehn. Ich gehe aufs Gymnasium und
bin eine Schülerin (fast) wie alle anderen. Mein Vater ist im Gefängnis. Er
bezahlt für das, was er mir angetan hat. Und ich, ich versuche damit fertig zu
werden, so gut ich kann. Ich gebe mich zwar sehr erwachsen, aber das ändert
nichts daran, daß ich gezeichnet bin fürs ganze Leben. Die Wunde ist noch lange
nicht verheilt.
    Mein Schicksal ist kein Einzelfall.
Viele Mädchen machen die gleichen schlimmen Erfahrungen. Und wie ich können sie
weder verstehen, was mit ihnen passiert, noch sind sie in der Lage, sich zur Wehr
zu setzen. Deshalb habe ich mich entschlossen, dieses Buch zu schreiben. Zum
Thema Inzest sind eine Reihe von Büchern veröffentlicht worden, aber alle
Betroffenen haben erst im Erwachsenenalter darüber geschrieben, nachdem sie
Abstand gewonnen hatten. Ich will über meine Wunde sprechen, solange sie noch
offen ist. Ich will Ihnen schildern, was ein Kind, das in einer inzestuösen
Beziehung mißbraucht wird, wirklich empfindet. Das Ganze ist schrecklich
kompliziert, es ist so unbegreiflich und so schmerzhaft. Es ist etwas Übles,
Häßliches, etwas, das man lieber verschweigen würde.
    Die meisten schleppen jahrelang diese
Last mit sich herum, kapseln sich ab, ziehen sich von allem zurück. Mir blieb
nichts anderes übrig, als darüber zu sprechen. Erst mit den Polizeibeamten und
später, während der Verhandlung, mit dem Richter, den Geschworenen, den
Anwälten und den Journalisten. Dann waren da noch die Erzieher. Und schließlich
bin ich vor die Fernsehkameras getreten und habe meinen Leidensweg erzählt, um
all jene zu überzeugen, die meinten, ich sei selbst schuld an allem, ich hätte
meinen Vater sozusagen verführt. Als ob die Vergewaltigung allein nicht schon
schlimm genug gewesen wäre...
    Ich bekam unzählige Briefe von
Zuschauern, die mir schrieben: »Bravo, Nelly! Es war gut, daß du darüber
gesprochen hast.« Das hat mir sehr geholfen, es hat mir Mut gemacht und neuen
Lebenswillen gegeben. In der Fernsehsendung habe ich vor allem über die Folgen
des Inzests gesprochen, über die Vorwürfe, die in meiner Umgebung laut wurden,
weil ich es gewagt hatte, meinen Vater anzuzeigen. Im vorliegenden Buch möchte
ich aber auch schildern, wie es überhaupt so weit kommen konnte. Wie ist es
möglich, daß ein braver Familienvater, ein ausgeglichener, geachteter Mann — mein
über alles geliebter Vater — zu einer solchen Tat fähig ist? Wie ist es
möglich, daß niemand das Unheil kommen sah?
    Die Geschichte eines Inzests, die ich
Ihnen hier erzählen will, ist also meine eigene. Ich möchte Ihnen erklären, wie
sich in einer ganz normalen französischen Familie die Dinge unbemerkt so weit
entwickeln konnten.
    Gemeinsam mit Ihnen will ich noch
einmal ganz an den Anfang der Geschichte zurückkehren.

Ein glückliches Zuhause
     
     
     
    Ich liebte unser kleines Haus. Das
Haus, in dem ich später soviel Schlimmes erleben sollte. Es hatte nichts
Besonderes, aber es ist das Haus meiner Kindheit. Ich bin dort aufgewachsen,
und ich war glücklich dort. Selbst heute noch fühle ich mich zu ihm hingezogen,
ich weiß auch nicht, warum. Es knüpfen sich viele Erinnerungen daran. Schreckliche,
aber auch schöne. Es ist und bleibt »mein« Haus. Eine Menge Dinge verbinden
mich mit ihm, so daß es mir trotz allem, was passiert war, einen Stich gab, als
ich von dort weggehen mußte. Für mich war es ein glückliches Zuhause gewesen.
Und deshalb möchte ich Sie dorthin führen, zu meinem Haus mitten im Wald, und
Ihnen alles darüber erzählen. Vielleicht können Sie dann besser verstehen, wie
alles angefangen hat und wie es so weit kommen konnte.
    Meine Heimat ist das Land des Mistrals.
Nicht weit von hier fließt die Rhone. Orange ist die nächstgrößere Stadt.
Weinberge, Obstbäume, Olivenhaine, Kiefern- und Korkeichenwälder bestimmen
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