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Ich war seine kleine Prinzessin

Ich war seine kleine Prinzessin

Titel: Ich war seine kleine Prinzessin
Autoren: Nelly
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zu meinem Vater.
    Wenn Mama mich fragte: »Kommst du mit
zum Einkaufen?«, antwortete ich: »Nein, ich bleib’ lieber bei Papa. Du kannst
ja Laury oder Sandy mitnehmen. Ich bleib’ hier.«
    Ich wollte nirgends mehr mit ihr
hingehen. Ich wollte nicht mit ihr allein sein. Worüber sollte ich mit ihr
reden? Ihre Gesellschaft war mir unangenehm. Vielleicht sah ich in ihr nach
allem, was mein Vater mir erzählt hatte, eine Feindin. Ich war jedenfalls davon
überzeugt, daß sie ihm das Leben schwermachte — weil er es mir eingeredet
hatte. Und zu guter Letzt bildete ich mir ein, sie schade nicht nur ihm mit
ihrem Verhalten, sondern auch mir. Unbewußt muß ich mir gesagt haben: »Ich
werde mich an ihr rächen.«
    Meine Mutter verstand nicht, weshalb
ich plötzlich so aggressiv, so gehässig war. Sie wußte ja nicht, was Papa mir
alles erzählte: die Schulden, die Männer und so weiter. Sie bemühte sich um ein
gutes Verhältnis zu mir, aber ich wollte nicht. Papa hatte mir gesagt, mein
Bruder und meine Schwester stünden ihr viel näher als ich, und da rächte ich
mich eben, indem ich sie zurückstieß. So kam es, daß wir uns einander völlig
entfremdeten. Vielleicht haßten wir uns sogar — was meine Gefühle anbelangte,
traf das sicherlich zu.
    Ich hatte keine Hemmungen, sie hinter
ihrem Rücken zu beschimpfen. Ich brummte zum Beispiel vor mich hin: »Du bist
doch eine blöde Kuh.« Ich sagte das so oft, bis ich es schließlich glaubte.
Irgendwann betrachtete ich sie nicht mehr als Mutter, sondern als eine Frau,
die da war, um den Haushalt zu versorgen und sich um meine Geschwister zu
kümmern. Und mich störte sie, mich störte sie ganz entsetzlich. Papa sagte mir
immer wieder, wir zwei allein wären viel glücklicher, weil uns hier ja doch
niemand lieb hätte, schon gar nicht Mama, die ihm so weh tat. Zum Schluß habe
ich das selber geglaubt.
    Die Dinge waren freilich viel
komplizierter, als ich das hier geschildert habe. In dem kleinen Haus, das ich
so sehr liebte, wurde die Situation unerträglich, sie hatte etwas Perverses.
Aber wie hätte ich das mit meinen zwölf Jahren erkennen sollen? Wir lebten auf
engem Raum, in vier Zimmern, unserer kleinen Welt, fern von allem, und erfuhren
nur aus dem Fernsehen, was draußen vor sich ging. Fernsehen war unsere einzige
Ablenkung. Für mich war alles ganz klar. Unsere Familie war in zwei Lager
gespalten: auf der einen Seite Papa und ich (wir liebten uns), auf der anderen
Mama mit Sandy und Laury (sie liebten sich, aber nicht uns). So sah ich die
Dinge, weil Papa sie mir so erklärt hatte.
     
    Meiner Meinung nach hat mein Vater uns
oft benutzt, um sich an meiner Mutter zu rächen. Wenn er ihr weh tun wollte,
schikanierte er uns Kinder, vor allem meinen Bruder und meine Schwester, an
denen sie sehr hing. Er wußte, daß die Kinder ihr ein und alles waren. Und so
trugen sie ihre Streitigkeiten auf unserem Rücken aus. Wenn Papa Krach mit Mama
hatte, ließ er seine Wut an uns aus, um sie zu ärgern.
    Ich weiß noch, eines Nachts mitten im
Winter — wir waren noch ganz klein — kam er wie ein Irrer in unser Zimmer
gestürmt und riß die Fenster sperrangelweit auf. Er tobte und weckte uns mit
seinem Geschrei, und Mama eilte aufgeregt herbei. Sie hatten sich nämlich
gestritten, und anstatt nun die Angelegenheit mit meiner Mutter auszufechten
und in seinem Zorn vielleicht zu weit zu gehen (im Wohnzimmer hing eine Jagdflinte),
bestrafte er lieber uns Kinder, indem er uns aus dem Schlaf riß und trotz der
Kälte die Fenster aufsperrte. Auf diese Weise, das heißt auf dem Umweg über
uns, konnte er meiner Mutter eins auswischen. Sie zu schlagen traute er sich
nämlich nicht. Er hatte Angst vor den Folgen. Er war ein einziges Mal, als sie
noch jung verheiratet waren, handgreiflich geworden, und da hatte sie ihm
gedroht: »Wenn du mich noch einmal schlägst, verlasse ich dich, und die Kinder
nehme ich mit. Spätestens wenn Sandy volljährig ist, werde ich mich sowieso von
dir scheiden lassen«, hatte sie hinzugefügt.
    Mein Vater wußte also, daß meine Mutter
nur unseretwegen bei ihm blieb. Und er wußte auch, wie sehr sie uns liebte. Wir
waren das beste Druckmittel, die stärkste Waffe, die er gegen sie in der Hand
hatte. Und er machte Gebrauch davon. Er benutzte uns, um meiner Mutter weh zu
tun und sie an sich zu binden, wenigstens solange, bis wir volljährig wären.
Das alles habe ich erst hinterher erfahren. Eigentlich ist es mir heute erst so
richtig klargeworden.
    Damals
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