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Der Ritter von Rosecliff

Der Ritter von Rosecliff

Titel: Der Ritter von Rosecliff
Autoren: Rexanne Becnel
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PROLOG
     
    »Wenn Steine wachsen wie sonst nur Bäume,
    Wenn der Mittag schwarz ist wie die Nacht
    Wenn Hitze die Kälte des Winters bezwingt
    Bricht der Tag an, an dem Cymru fällt.«
    Walisisches Wiegenlied
     
    Nordwales, zwischen Carreg Du und Afon Bryn
    Mai 1139
     
    Rhonwen sah das Kaninchen und blieb regungslos stehen. Warum lief es nicht weg? Sie schaute sich misstrauisch auf der stillen Waldlichtung um, hielt Ausschau nach irgendwelchen Raubtieren oder Menschen. Als ihr nichts Verdächtiges auffiel, stellte sie ihren Weidenkorb vorsichtig ab und wandte ihre Aufmerksamkeit wieder dem Kaninchen zu, das einen kleinen Sprung machte, dann wie verrückt im Kreis durch das junge Farnkraut hopste und schließlich erschöpft aufgab.
    Es war in einer Schlinge gefangen.
    An fremden Fallen durfte man sich nicht vergreifen, das wusste Rhonwen genau. In schlechten Zeiten - so wie jetzt - galt es sogar als Verbrechen. Trotzdem würde dies weder das erste noch das letzte Mal sein, dass sie das Gesetz brach. Wenn man Hunger hatte, traten Moral und Ehre in den Hintergrund.
    Langsam näherte sie sich dem gefangenen Kaninchen und redete beruhigend auf das Tierchen ein. »Hab keine Angst, mein Freund. Ich werde dich befreien ... « Du wirst einen herrlichen Schmorbraten abgeben, fügte sie in Gedanken hinzu, und ihr Magen knurrte zustimmend. Es war ein langer, harter Winter gewesen, und sie hatte fast vergessen, wie Fleisch schmeckte.
    Ihr lief das Wasser im Munde zusammen, während sie geschickt die Schlinge löste, die ein Hinterbein des Kaninchens einschnürte, und das Tier in ihrem Korb verstaute. Schlachten würde sie es anderswo. Jetzt musste sie schnell von hier verschwinden, bevor der Fallensteller sie ertappte.
    Obwohl die Sonne von einer dichten schiefergrauen Wolkendecke verhüllt wurde, konnte Rhonwen vage erkennen, dass der Himmelskörper sich schon dem westlichen Horizont näherte. Sie hatte sich weiter als gewöhnlich vom Dorf entfernt doch mit ein wenig Glück würde sie vor Einbruch der Dunkelheit zu Hause sein. Behände rannte sie einen steilen Hügel hinab, rutschte einige Male auf den glatten dunklen Kieselsteinen aus, konnte aber immer das Gleichgewicht halten. Aber das Glück blieb ihr nicht hold. Sie hatte den Fluss fast erreicht den sie auf einem umgestürzten Baum überqueren wollte, als ein Stein dicht an ihrem linken Ohr vorbeiflog.
    »Gib mir mein Kaninchen zurück, wenn du nicht willst dass der nächste Stein deinen Kopf trifft!«
    Eine helle Kinderstimme ... Rhonwen atmete erleichtert auf. Von einem jungen hatte sie nichts zu befürchten, auch wenn er sich sehr wütend anhörte. Sie rannte weiter, ignorierte einen Stein, der ihre Schulter streifte, bahnte sich einen Weg durch das Weidengestrüpp am Ufer, stolperte über eine Wurzel und fiel hin, kam aber schnell auf die Beine. Ausgerechnet in diesem Moment traf ein Stein mit voller Wucht ihre Wange.
    »Aua! Autsch!« Rhonwen stürzte wieder und landete dieses Mal im eiskalten Wasser. Sie ließ ihren Korb los, und das Kaninchen nutzte seine Chance, sprang hinaus und hüpfte davon. Gleichzeitig kam der Junge atemlos und fluchend angerannt.
    »Verdammt das war mein Kaninchen! jetzt ist es weg, und das ist deine schuld!«
    Er war zerlumpt und sehr schmutzig. Seine dunklen Augen funkelten vor Zorn, was Rhonwen gut verstehen konnte. Sie hatte den Leckerbissen, von dem er bestimmt genauso wie sie geträumt hatte, gestohlen und dann auch noch entkommen lassen ... Doch sie war selbst viel zu frustriert um Gewissensbisse zu haben. Ihre Wange schmerzte, und sie fror erbärmlich im kalten Wasser. Dieser magere Bursche täte gut daran, sie nicht weiter zu ärgern, sonst würde sie ihn im Fluss ertränken!
    Ihre Augen verengten sich zu schmalen Schlitzen, und sie rümpfte die Nase, während sie ans Ufer watete. »Du bist Rhys ap Owain, stimmt's? Und du stinkst heute noch schlimmer als bei unserer letzten Begegnung! Geh mir aus dem Weg! «
    Mit ihren vierzehn Jahren fühlte Rhonwen sich ihm sehr Überlegen. Sie war schon fast eine Frau, er hingegen nur ein schmächtiger junge, was ihn freilich nicht daran hinderte, frech aufzutreten.
    »Und du bist das Weibsstück Rhonwen!«, fauchte Rhys. »Das diebische Luder aus Carreg Du.« Er schnappte sich ihren Weidenkorb. »Du hast mein Kaninchen gestohlen, und als Entgelt nehme ich den Korb mit.«
    »Der gehört mir! Gib ihn sofort her!«
    Rhonwen rannte auf ihn zu, aber er wich geschickt aus. »Du bekommst ihn zurück,
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