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Ich war ein Glückskind - mein Weg aus Nazideutschland mit dem Kindertransport

Ich war ein Glückskind - mein Weg aus Nazideutschland mit dem Kindertransport

Titel: Ich war ein Glückskind - mein Weg aus Nazideutschland mit dem Kindertransport
Autoren: cbj Verlag: Verlagsgruppe Random House GmbH
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nach England gebracht wurden und Jahre später wieder nach Deutschland zurückgekehrt sind.
    Wie ich Ihnen bereits erzählt habe, besuche ich hier in Berlin das Gymnasium und bin Herausgeberin der Schülerzeitung – eine Tätigkeit, auf die ich sehr stolz bin.
    Wir richten uns an eine Leserschaft ab zwölf Jahren aufwärts, und ich möchte in unserer Zeitung Geschichten erzählen, die sowohl die Herzen als auch den Verstand der Leser ansprechen.
    Was Sie mir letzten Sonntag über Ihr Leben erzählt haben, fand ich nicht nur sehr interessant – ich glaube auch, dass unsere Leserinnen und Leser genauso ein Interesse daran hätten, von Ihrer behüteten Kindheit hier in Berlin zu erfahren, den tragischen Ereignissen in Nazideutschland, den Schrecken des Reichspogroms im November 1938, den schrecklichen Dingen, die Ihrer Familie zugestoßen sind, und wie Sie selbst mit dem Kindertransport nach England fliehen konnten.
    Deshalb wäre es mir eine große Freude, wenn wir uns noch einmal treffen könnten. Darf ich Sie vielleicht zu einem Mittagessen im Restaurant des Augustinums einladen, damit Sie mir mehr von sich erzählen? Es wäre eine Art Interview, denn unsere Schülerzeitung plant für nächsten November anlässlich des 75. Jahrestags der Reichspogromnacht eine Reihe von Artikeln zu diesem Thema.
    Es wäre schön, wenn Sie zu einem längeren Interview bereit wären. Ich hätte aber natürlich auch Verständnis, wenn es für Sie zu schmerzlich wäre, sich so detailliert über Ihre Vergangenheit zu unterhalten.
    Ich freue mich darauf, von Ihnen zu hören.
    Mit herzlichen Grüßen
    Anna Kiefer
    13. September 2012
    Liebes Fräulein Kiefer,
    oder darf ich wieder Anna und Du sagen, wie ich es letzten Sonntag spontan tat? Ich gehe jetzt einfach mal davon aus …
    Ich fand es auch sehr schön, Deine Bekanntschaft gemacht zu haben. Es war wirklich eine anregende Unterhaltung mit Dir und Deinen Urgroßeltern.
    Ich möchte Dir auch sagen, wie rührend ich es finde, wie liebevoll und zärtlich sich Deine Urgroßmutter um Deinen Urgroßvater kümmert.
    Du kannst sehr stolz auf sie sein und natürlich auch auf ihn. Ich frage mich oft, wie mein eigener Vater in diesem hohen Alter wohl ausgesehen hätte.
    Auf alle Fälle wäre es mir eine große Freude, Dich wiederzusehen und Dir etwas ausführlicher von meinem Leben zu erzählen.
    Und Du kannst mir glauben: Ich habe kein Problem damit, über meine Vergangenheit zu sprechen oder mich in allen Einzelheiten daran zu erinnern.
    Ich habe mein Leben lang Tagebuch geführt, und ich kann einige davon zu unserem Treffen mitbringen, um meinem Gedächtnis notfalls auf die Sprünge zu helfen oder gegebenenfalls ein paar wichtige Passagen daraus vorzulesen, wenn Du das möchtest.
    Allerdings muss Dir bewusst sein: Bei unserem ersten Treffen hast Du gesagt, dass Dich der Gedanke an die Konzentrationslager und die sechs Millionen Juden, die ums Leben kamen, sehr beschäftigt und quält.
    Meine Geschichte ist allerdings eine ganz andere. Denn obwohl dreiunddreißig Mitglieder meiner Familie in den Lagern ums Leben kamen, hatte ich selbst das Glück zu überleben.
    Deshalb musst Du wissen, dass meine Geschichte weder solche Gräueltaten noch die tatsächlichen Schrecken des Krieges zum Thema hat.
    Meine Geschichte ist lediglich die Geschichte eines elfjährigen deutschen Mädchens. Eines Mädchens, das seinen Wellensittich Hansi geliebt hat, seine beste Freundin Ruthie, seine Puppenstube und seinen freundlichen, liebevollen Vater. Doch dann wurde dieses Mädchen in ein fremdes Land ins Exil geschickt und sollte all diese Personen und Dinge niemals wiedersehen.
    Bis dahin war ich ein typisch deutsches Mädchen – wie Du es in diesem Alter vermutlich auch warst. Doch das endete abrupt mit dem 10. November 1938 – dem Tag, an dem meine heile Welt zerbrach. Danach war ich ein ganz anderes Mädchen geworden, als Du es bist, und sollte nie wieder ein normales Mädchen sein.
    Nun, meine liebe Anna, wenn Du noch immer mit mir reden möchtest (verzeih meine ungezwungene Art, aber ich habe so lange in England gelebt …), würde ich mich freuen, dich nächsten Sonntag zu treffen.
    Herzliche Grüße
    Marion
    So kam es, dass ich am Sonntag darauf mit Mrs Charles zu Mittag aß.
    Bevor sie das Restaurant betrat, kam eine der Pflegerinnen des Augustinums an meinen Tisch, mit einem Servierwagen voller Fotoalben, Tagebücher und Aktenordner.
    Wenig später betrat Mrs Charles den Raum. Sie war mit ihren
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