Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Ich war ein Glückskind - mein Weg aus Nazideutschland mit dem Kindertransport

Ich war ein Glückskind - mein Weg aus Nazideutschland mit dem Kindertransport

Titel: Ich war ein Glückskind - mein Weg aus Nazideutschland mit dem Kindertransport
Autoren: cbj Verlag: Verlagsgruppe Random House GmbH
Vom Netzwerk:
er ist charmant und immer sehr elegant gekleidet und ich bin richtig stolz auf ihn.
    Aber ich weiß, dass mein lieber Papa ständig Schmerzen hat, von früh bis spät, weil er im Großen Weltkrieg verwundet wurde, als er für Deutschland kämpfte. Er ist mein Held, mein Schutzengel, mein Märchenkönig.
    Meine Mama ist eine wunderschöne Frau, besonders wenn sie ihren Zobelpelz und den großen schwarzen Florentinerhut mit dem Schleier trägt oder ihr smaragdgrünes Abendkleid von Chanel – aber ich weiß, dass sie keine richtige Märchenkönigin ist (obwohl sie und alle sagen, ich sei eine Prinzessin, aber das finde ich meistens blöd). Sie stammt aus einer angesehenen deutschen Familie und kann wunderbare Mohnkuchen und Gugelhupf backen.
    »Die Familie Schild kann ihren Stammbaum bis ins Jahr 1740 zurückverfolgen. Wir sind waschechte Preußen aus Westfalen und sehr stolz darauf. Die Familie deines Vaters, die Czarlinskis, hat viele tapfere Soldaten in ihren Reihen, und zu ihnen gehört natürlich auch dein Papa«, sagt Mama oft und gern.
    Sie stammt aus einer Familie mit sieben Kindern und fünf von ihnen sind mit Nichtjuden verheiratet.
    Meine Tante Ida hat im Großen Weltkrieg als Krankenschwester an der Westfront gearbeitet, genau wie meine Tante Greta, die den kaiserlichen Zahnarzt geheiratet hat: Onkel Ernst.
    Tante Ida war als junge Frau so schön, dass sie unter all den vielen Krankenschwestern an der Westfront ausgewählt wurde, um dem Kronprinzen Oskar einen Blumenstrauß zu überreichen, als er zu einem Truppenbesuch kam.
    Und Kronprinz Oskar war so verzaubert von Tante Ida, dass er sie hinterher zu einem Abendessen einlud.
    Wenn ich sie frage, was zwischen ihr und dem Kronprinzen Oskar gewesen ist, wird sie immer rot und sagt: »Ich war eine anständige junge Frau.«
    Aber Onkel Ernst hat allen verboten, in seiner Gegenwart den Kronprinzen Oskar zu erwähnen, und das finde ich schon etwas seltsam.
    Meine Familie war dem deutschen Königshaus immer treu ergeben und meine beiden Onkel Ludwig und Otto haben genau wie Papa im Großen Weltkrieg gekämpft.
    Und wenn ich mal weine (obwohl ich eigentlich nie einen richtigen Anlass zum Weinen habe), schaut Mama mich ganz streng an und sagt: »Die Tochter eines deutschen Offiziers weint nicht!«
    Aber als vor vier Monaten mein Großvater gestorben ist, habe ich schon ein bisschen geweint.
    Ich finde es schade, dass er nicht mehr hier ist, um meinen Geburtstag mit mir zu feiern. Er war so lieb zu mir und auch ganz schön mutig.
    Er hat mich ganz oft ins Café Am Roseneck mitgenommen und dort bekam ich immer einen Windbeutel.
    Eines Tages, als ich gerade voller Freude hineinbeißen wollte, sah ich ein Kärtchen vor der Zuckerschale stehen: »Zutritt für Juden verboten.«
    Da bin ich aufgesprungen, doch Großvater sagte, ich solle mich wieder hinsetzen.
    »Das betrifft uns nicht, Marion, mein Schätzchen. Echten Deutschen wie uns wird nichts geschehen.«
    Ich habe ihm geglaubt. Wir sind in dem Café sitzen geblieben, ich habe meinen Windbeutel gegessen, er seine Sachertorte, und alles war gut.
    Aber zurück zu meinem Geburtstag: Ich bin schrecklich aufgeregt, weil Ruths Eltern ihr erlaubt haben, mich zu besuchen, damit wir meinen Geburtstag feiern können. Aber sie muss dafür den weiten Weg vom Scheunenviertel hierher zu Fuß kommen. Das hat einen religiösen Grund, hat sie gesagt, weil sie samstags nicht mit der Straßenbahn fahren darf.
    Ich kann es kaum erwarten, bis sie endlich kommt. Sie ist etwas kleiner als ich und sieht mit ihren langen braunen Locken und ihren bernsteinfarbenen Augen einfach wunderschön aus.
    Und sie ist lieb und lustig und kann die drolligsten Grimassen schneiden, wenn die Erwachsenen nicht herschauen. Außerdem ist sie das klügste Mädchen, das ich kenne, mit Abstand die beste Schülerin an unserer Schule.
    Ich hoffe sehr, dass Mama heute nicht wieder eine ihrer Bemerkungen macht wie zum Beispiel: »Ruthie, pass bloß auf! Wenn du das nächste Mal eine deiner Grimassen schneidest und zufällig eine Uhr stehen bleibt, wird dein Gesicht auch für immer so stehen bleiben.«
    Mama mag Ruthie nicht so sehr, weil ihre Eltern polnische Juden sind. »Osteuropäer, Marionlein. Die sind ganz anders als wir. Vergiss nie, dass du eine Schild bist, und die Schilds sind über Spanien und Holland nach Deutschland gekommen. Und als die Deutschen in Holland eingefallen sind, mussten deine Ururgroßtanten das Gesicht verschleiern, weil sie so
Vom Netzwerk:

Weitere Kostenlose Bücher