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Ich war ein Glückskind - mein Weg aus Nazideutschland mit dem Kindertransport

Ich war ein Glückskind - mein Weg aus Nazideutschland mit dem Kindertransport

Titel: Ich war ein Glückskind - mein Weg aus Nazideutschland mit dem Kindertransport
Autoren: cbj Verlag: Verlagsgruppe Random House GmbH
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wunderschön waren, weil sonst …«
    »Sonst was, Mama?«
    »Stell nicht so viele Fragen, Marionlein.«
    Obwohl heute mein Geburtstag ist, hat Papa darauf bestanden, dass ich kalt dusche, wie an den anderen Tagen auch. »Das dient der körperlichen Ertüchtigung, Marion. Und wenn du erst größer bist, wirst du einsehen, dass der Körper abgehärtet und widerstandsfähig sein muss, wenn man es im Leben zu etwas bringen will«, sagte er, bevor er mir einen zärtlichen Kuss auf die Stirn drückte.
    Danach musste ich mit Mama zwei Stunden lang im Grunewald spazieren gehen, Geburtstag hin oder her.
    »Kommt Papa auch mit?«, habe ich gefragt.
    Mama schüttelte den Kopf.
    »Nein, sein Bein tut ihm weh«, hat sie gesagt.
    Ich weiß nicht, ob er mir mehr leidtut oder ob ich mehr stolz auf ihn bin. Denn mein Vater ist kein normaler deutscher Offizier, sondern ein Kavallerie-Offizier, und wegen seiner Tapferkeit hat er das Eiserne Kreuz I. Klasse bekommen (Hitler hat nur das Eiserne Kreuz II. Klasse, sagt Mama oft, aber wenn ich sie dann frage, wer dieser Hitler ist, wechselt sie schnell das Thema. Und immer wenn er im Radio mit seiner lauten, knarrenden Stimme redet, schaltet sie schnell aus).
    Als ich in meine Stiefel schlüpfte, habe ich mir zum mindestens einhundertsten Mal gewünscht, ich hätte nicht so große Füße. Oder ich wäre nicht so groß.
    Neben mir sieht meine Freundin Lotte richtig süß aus mit ihren goldbraunen Haaren und ihren strahlenden grünen Augen mit den unglaublich langen Wimpern. Ich finde, sie sieht wie ein französischer Filmstar aus. Auf jeden Fall gar nicht wie eine Jüdin.
    Wir haben uns an meinem ersten Schultag in der Volksschule 1V Berlin-Dahlem kennengelernt. Als wir Erstklässler mit unseren Schultüten vor der Schule ankamen, wurden wir von einer Blasmusikkapelle empfangen, die vor der Schule aufgespielt hat!
    Das hat mir gut gefallen, doch dann hat die Schulleiterin, die vor der Tür stand, das Sieg-Heil-Zeichen gemacht und alle Mädchen haben es nachgemacht. Das hat mir nicht gefallen.
    Nur Lotte hat die Hand an ihren Körper gepresst und ich auch, weil Mama mal gesagt hat, ich solle da nicht mitmachen.
    Nach diesem ersten Schultag sind Lotte und ich enge Freundinnen geworden und sie lädt mich oft zu sich ein. Ihre Eltern haben eine Villa nur wenige Straßen von unserem Haus entfernt, in Dahlem.
    Ihr Vater ist Violinist, ihre Mutter Gewandmeisterin im Theater. Von ihr hat Lotte viele Kostüme, die das Theater nicht mehr braucht, und damit können wir uns wunderbar verkleiden. Mal sind wir Aschenbrödel, am nächsten Tag Schneewittchen. Oder eine Braut, ein Clown oder ein Pilot. Lotte und ich ziehen diese Kostüme abwechselnd an und wir haben viel Spaß dabei.
    Als ich mit Mama vom Grunewald zurückgekommen bin, ist Rolf auf seinem Rad an uns vorbeigefahren, und ich bekam ganz weiche Knie.
    Ich bin in Rolf verliebt, aber das weiß niemand … außer Ruthie und Lotte.
    Rolf ist ein sehr hübscher Junge. Er ist groß und blond und hat wunderschöne tiefblaue Augen. Aber er trägt oft eine braune Uniform und eine rotschwarze Fahne mit einem Hakenkreuz darauf. Meine Mutter sagt, das sei das Zeichen des Teufels.
    Normalerweise glaube ich alles, was sie sagt, aber das nicht! Rolf ist so jung und hübsch und nett, wie kann er da etwas mit dem Teufel zu tun haben?
    Und warum haben seine Eltern neulich einen Brief geschrieben, in dem stand, dass Rolf nicht mehr mit mir reden darf und ich nicht mehr mit ihm, weil ich Jüdin bin?
    Ich bin doch deutsch, genau wie Rolf, warum dürfen wir dann nicht mehr miteinander reden?
    Ich kenne die Antwort nicht, aber ich habe das Gefühl, dass Rolf und ich aus zwei Familien stammen, die sich bekriegen, genau wie die Capulets und die Montagues in »Romeo und Julia«. Allerdings weiß ich nicht genau, worum es bei unseren Familien geht.
    Ich könnte natürlich Mama fragen, aber ich will nicht, dass sie sich aufregt. Wenn sie sich aufregt, bekommt sie immer rote Flecken im Gesicht, und wenn sie sich dann noch mehr aufregt, ruft sie: »Zum Donnerwetter!«
    Ich möchte mir lieber nicht vorstellen, wie rot ihre Wangen würden und was sie rufen würde, wenn sie wüsste, was ich für Rolf empfinde. Ich hoffe sehr, dass er mich auch mag. Ich glaube, ich werde ihn ab jetzt heimlich »Romeo« nennen.
    Rolf und ich haben uns zum ersten Mal im Botanischen Garten getroffen. Ich bin mit Dorette spazieren gegangen (meine Kinderfrau, aber nur bis zu dem Tag, als es Juden
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