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Ich war ein Glückskind - mein Weg aus Nazideutschland mit dem Kindertransport

Ich war ein Glückskind - mein Weg aus Nazideutschland mit dem Kindertransport

Titel: Ich war ein Glückskind - mein Weg aus Nazideutschland mit dem Kindertransport
Autoren: cbj Verlag: Verlagsgruppe Random House GmbH
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gesagt.
    Doch durch irgendein Wunder – war es ihre direkte Berliner »Schnauze« oder ihr Mut? – ließ die Gestapo Mama nach einer Verwarnung wieder nach Hause gehen.
    »Wir werden Sie in Zukunft im Auge behalten«, sagten die Männer. »Und falls uns noch einmal etwas zu Ohren kommt, wissen Sie, was Ihnen blüht und wo Sie enden werden …«
    Meine Mutter hat erzählt (und ich glaube ihr), dass sie da den Kopf in den Nacken geworfen und gesagt hat: »Mal sehen, wer von uns hier zuerst dorthin kommt.«
    Ich war sehr beeindruckt, habe aber nicht erfahren, wo dieses »Dorthin« war und was mit den Leuten geschieht, wenn sie dort ankommen. Ich wagte aber auch nicht, danach zu fragen.
    Zum damaligen Zeitpunkt hatte ich keine Ahnung, Anna, dass in Deutschland im März 1933 das erste Konzentrationslager eröffnet worden war, das KZ Dachau.
    Und ich ahnte auch nicht, was das für mich, meine Familie und für uns alle bedeutete.

2
    DÄMMERUNG
    Oktober 1937 –November 1938
    In den dreizehn Monaten zwischen meinem zehnten Geburtstag und dem Reichspogrom zog sich die Schlinge um den Hals der deutschen Juden immer enger zu.
    Und das galt nicht nur für die Erwachsenen. Rückblickend würde ich sagen, dass die Nazis vor allem den jüdischen Kindern den Krieg erklärt hatten.
    Jüdische Kinder durften keine Haustiere mehr haben, nicht mehr im Park oder vor dem Haus spielen, und Kinobesuche waren für sie ebenfalls verboten.
    Und auch für unschuldige und wehrlose Erwachsene gab es genug grausame Verbote und Gesetze.
    Gesetze wie jenes aus dem Jahr 1942 untersagte es blinden oder tauben Juden, ihre Armbinden zu tragen, welche die Autofahrer zu besonderer Rücksicht ermahnten, damit es nicht zu Unfällen kam.
    Anfangs hatten es die Nazis nur darauf angelegt, die deutschen Juden all ihrer Rechte und ihres Hab und Guts zu berauben und sie aus dem Land zu vertreiben.
    Und der Mann, der diese Zwangsvertreibungen leitete, war ein gewisser Adolf Eichmann.
    Meine Eltern taten alles in ihrer Macht Stehende, um die Vorboten des Sturms, der in Deutschland über unschuldige Juden heraufzog – Juden, die sich für deutscher als die Deutschen hielten –, von mir fernzuhalten.
    So kam es, dass ich weiterhin ungestört mit meinen Freundinnen und Spielsachen spielen und zur Schule gehen konnte.
    Ja, meine liebe Anna, das mag heute nicht mehr in Mode sein, aber ich bin immer gern zur Schule gegangen und das Lernen hat mir immer großen Spaß gemacht.
    Das galt vom ersten Schultag an. Hier ist ein Foto von mir, mit meiner Schultüte, als ich von meinen stolzen Eltern zur IV Volksschule Berlin-Dahlem gebracht wurde.
    Siehst du, wie ich strahle? Ich war richtig glücklich, weil ich endlich alt genug war, um zur Schule zu gehen.
    Jeden Morgen habe ich mich auf den Unterricht gefreut und bekam in allen Fächern sehr gute Noten, außer in Rechnen, und meine Eltern freuten sich über meine Fortschritte.
    Ich liebte Sport und Mannschaftsspiele und freute mich besonders auf den Sommer, wenn wir Schulausflüge machten.
    Dann kam der Tag im Sommer 1938, als meine Klasse an den Wannsee fuhr.
    Liebes Tagebuch,
    heute war ein schlimmer Tag und dabei hat er so gut angefangen. Mama hatte Nusskipferl für mich gebacken und mir auch Leberwurstbrote eingepackt.
    Doch als wir am Picknickplatz am Wannsee ankamen, stand da ein großes Schild, auf dem stand: » KEIN ZUTRITT FÜR JUDEN !«
    Ich wurde kreidebleich.
    Lotte dagegen warf den Kopf in den Nacken und sagte: »Komm, Marion, wir gehen nach Hause und spielen bei mir im Garten.«
    Als wir weggingen, spürte ich, dass alle Klassenkameradinnen uns nachstarrten, und ihre Blicke brannten auf meinem Rücken.
    Früher war ich eine von ihnen gewesen, jetzt bin ich eine Ausgestoßene, und ich spüre, dass sich daran nichts mehr ändert, egal was ich sage oder tue.
    Liebes Tagebuch,
    stell dir vor: In zwei Tagen werde ich elf!
    Aber wenn ich daran denke, was seit meinem letzten Geburtstag alles passiert ist, kann ich mich gar nicht so richtig darauf freuen.
    Trotzdem versuche ich, tapfer zu sein, weiter fleißig zu lernen und jeden Tag zur Schule zu gehen, was immer auch passiert.
    So auch an diesem Morgen, der dann aber zum schlimmsten Morgen meines Lebens wurde.
    Ich kam pünktlich und froh zur Schule und wollte an meinen üblichen Platz gehen, vorne in der ersten Reihe. Es ist ein Ehrenplatz, denn nur die Klassenbesten dürfen ganz vorne sitzen.
    Doch Frau Müller, eine große, dünne Frau mit Zöpfen und schwarzen
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