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Ich war ein Glückskind - mein Weg aus Nazideutschland mit dem Kindertransport

Ich war ein Glückskind - mein Weg aus Nazideutschland mit dem Kindertransport

Titel: Ich war ein Glückskind - mein Weg aus Nazideutschland mit dem Kindertransport
Autoren: cbj Verlag: Verlagsgruppe Random House GmbH
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schönes Geburtstagsgeschenk für ihn ist, wenn er zuschauen kann, wie ich meine Schule vertrete!
    Nein, ich weiß ganz sicher, dass es ein tolles Geschenk ist, denn er kommt jeden Nachmittag mit ins Schwimmbad und schaut mir beim Üben zu. Wenn ich im Schulschwimmbecken Runde um Runde schwimme, feuert er mich an und sieht richtig stolz und glücklich aus.
    Er hat viel Zeit, mir beim Schwimmen zuzusehen, weil er seine Fabrik nicht mehr hat.
    Eines Morgens stand ein SS-Offizier vor der Tür und ließ ihn nicht hineingehen, hat Papa erzählt.
    »Diese Fabrik gehört Ihnen nicht mehr!«, hatte der Mann gebellt.
    Papa hat auch die andere Wange hingehalten und geschwiegen.
    Seither hilft er Mama im Haushalt und schält sogar Kartoffeln.
    Diesen großen, kräftigen Mann am Küchentisch sitzen und Kartoffeln schälen zu sehen, ist komisch – und auch traurig.
    Aber vielleicht lächelt er wieder, wenn ich beim Schwimmwettkampf meine Schule vertrete. Dann ist er bestimmt stolz auf mich und glücklich.
    Am Morgen der Wettkämpfe hat mein Vater mich dann zum Stadium begleitet.
    Ich trug voller Stolz unsere Schulfarben, Rot und Weiß, und hüpfte voller Vorfreude neben ihm her.
    Doch am Eingang des Stadiums stand ein Wachmann. Er schüttelte den Kopf und überreichte meinem Vater einen Zettel.
    Darauf stand: »Jüdische Kinder dürfen mit sofortiger Wirkung nicht mehr an Schwimmveranstaltungen teilnehmen.«
    Den Schmerz und die Enttäuschung in den Augen meines Vaters sollte ich meiner Lebtag nicht mehr vergessen.

3
    ASCHE
    9./10. November 1938
    Trotz des Vollmonds in der Nacht vom 9. auf den 10. November war auf den gepflegten Straßen von Dahlem alles ruhig, und ich konnte ungestört schlafen.
    Woher hätte ich auch wissen sollen, dass die Ermordung eines deutschen Diplomaten in Paris durch einen Juden für Hitlers Schergen der Auftakt zu Blutvergießen, Folter und zur Vernichtung der deutschen Juden war?
    Während ich friedlich unter meiner rosa Seidenbettdecke schlief, umgeben von meinen Puppen und Teddybären, brach im gesamten Deutschen Reich für die deutsch-jüdische Gemeinschaft die Hölle aus.
    Synagogen wurden verwüstet und angezündet, Rabbis gedemütigt und gezwungen, die heilige Thora mit Füßen zu treten, gebrechliche alte Männer mussten auf Händen und Knien die Straßen schrubben. Angehörige der SA und der SS drangen in jüdische Häuser und Wohnungen ein, demolierten Möbel und prügelten Männer und Frauen halb tot. In jeder deutschen Stadt waren die Straßen hinterher mit Glasscherben übersät.
    In Hamburg wurde das große Modehaus der Gebrüder Hirschfeld, entfernte Verwandte meines Vaters, geplündert. Die Schaufenster wurden eingeschlagen und alle männlichen Mitglieder der Familie Hirschfeld wurden v erhaftet und in Konzentrationslager gebracht.
    In dieser Nacht und am darauffolgenden Tag lagen so viele Glasscherben auf den Straßen, dass keine Autos mehr fahren konnten, weil sie sonst Reifenpannen gehabt hätten.
    Die Menschen sahen bei diesen Gräueltaten und Zerstörungen schweigend zu, ebenso wie die Feuerwehr und die Polizei.
    Gemäß den Anordnungen des Dritten Reichs schaute jeder tatenlos bei den Massakern und Zerstörungen zu und niemand schritt ein.
    Anschließend wurden die deutschen Juden zur Zahlung von einer Milliarde Reichsmark verurteilt – zur Strafe für die Sachschäden, die an ihrem Eigentum verübt worden waren!
    Liebes Tagebuch,
    ich schreibe dies am Abend des 10. November. Ich zittere immer noch, und der heutige Morgen scheint so weit weg zu sein, als sei das alles vor einer Million Jahren passiert.
    Als ich am Morgen wie immer zur Schule ging, hat Lotte nicht wie sonst unten an der Ecke auf mich gewartet.
    Und in der Schule hieß es, wir sollen alle in den großen Saal kommen.
    Unsere liebe Schulleiterin, Lotte Kaliski, stieg auf das Podium. Sie sah sehr erschöpft und traurig aus, gar nicht so fröhlich wie sonst. Und sie lächelte auch nicht.
    »Wessen Vater heute Morgen von zu Hause abgeholt wurde, hebe bitte die Hand!«, sagte sie.
    Abgeholt? Abgeholt!? Mein Papa war zu Hause und frühstückte sicher noch mit Mama, er war nicht abgeholt worden! Ich drückte meinen Arm an meine Rippen.
    Um mich herum sah ich etliche Hände nach oben gehen.
    »Wer von euch hat es brennen gesehen?«, fragte Lotte Kaliski weiter.
    Alle hoben die Hand, außer mir und einigen anderen, die wie ich in einem Randbezirk wohnten.
    »Heute fällt der Unterricht aus, Kinder. Geht bitte alle nach
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