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Ich liebe mich

Ich liebe mich

Titel: Ich liebe mich
Autoren: Oliver Hassencamp
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in Reichweite, streckt er sich. Freizeitgemütlich. Hilde ordnet irgend etwas, bewegt sich emsig in dem kleinen Raum.
    »Noch achtzehn Minuten. Dann ist es soweit.«
    Monika nimmt die Zunge von etwas klebrigsüßem Giftigbunten am Stiel.
    »Wann macht er denn das Feuerwerk, Mutti?«
    Hilde antwortet in abwesend-vernünftigern Mutterton, spricht von Geduld, die man haben müsse und daß es gleich soweit sei. Monika quengelt, der Sittich piepst, auf der Mattscheibe singt ein Schlagerpummel von der Liebe, bis ein landender Düsenriese ihrem Talent Gnade widerfahren läßt. Er greift zum Glas, der Untersetzer klebt für Sekunden, fällt herunter. Monika muß ihn aufheben. Draußen krachen die ersten Raketen.
    »Wann machst du jetzt endlich Feuerwerk?«
    Er steht auf, das Fernsehprogramm erleichtert seinen Entschluß, greift zur Hobbyjoppe — ein weiteres Geschenk Hildes —, tritt hinaus auf den Zwei-Quadratmeter-Balkon, klappt die Kiste auf und macht sich daran, das teuerste Feuerwerk der gesamten Siedlung aufzubauen. Es ist eine windige Nacht mit Regenschauern, zu warm für die Jahreszeit, für offene Balkontüren indes zu kalt.
    »Entschuldige, wenn ich zumache. Sonst liegt Monika wieder auf der Nase, und wir können Sonntag womöglich nicht in die Oper.«
    Im Schein der Zimmerbeleuchtung arbeitet er draußen, ein Do-it-yourself-Hausvater, wie auf den meisten Baikonen in der Umgebung, freut sich, werken zu können an der Luft, geschützt von der Hobbyjoppe die Zeit mit Handgriffen zu bewältigen. Ein startendes Flugzeug trägt seine Gedanken fort.
    Stephanie badet jetzt im Meer — und ich möchte schlafen — warum kann man nicht leben wie man will — immer Rücksichten — diese Feiertage
    Die großen Raketen kann er nicht montieren. Wenn eine nach hinten losgeht, brennt die ganze blaue Wohnung. Drinnen verläßt Hilde das Zimmer. Sie hat Überraschungen zum Jahreswechsel bereit, Knallbonbons mit Sinnsprüchen für Dutzendschicksale, Scherzartikel, Luftschlangen. Monika tollt im Zimmer herum, kommt zur Balkontür, drückt die Nase an der Scheibe platt und die Klinke rauf und runter, hopst auf einem Bein, ängstigt den Sittich, indem sie mit einem Bleistift in den Käfig stochert. Und der Onkel draußen werkt windumweht mit Zange und Draht, bindet Knallfrösche mit Fäden an das Geländer, montiert den Silberregen über die volle Breite von ein Meter sechzig.
    Hilde hat sich umgezogen, ein schwarzes, festliches Kleid, bringt den Schaumwein ins Zimmer, eine Platte mit Häppchen, die Schüssel zum Bleigießen. Ihr verheißungsvolles Nicken besagt, daß es Zeit ist. Sie kommt zur Balkontür, legt eine Hand an den Rahmen die andere auf die Klinke, hebt leicht an und zieht vorsichtig. Vergeblich. Ihr Lächeln meldet Zuversicht nach draußen. Noch einmal drückt, hebt und zieht sie. Vergeblich. Jetzt sieht sie genau hin. Ihrer Pantomime nach fehlt der Schlüssel. Streng wendet sie sich an Monika, doch die zieht nur die Schultern hoch. Entschuldigende Geste nach draußen mit Augenaufschlag, der besagen könnte: Oh, diese Kinder! In einem Wettlauf mit der Uhr durchkämmen Mutter und Tochter das Zimmer, knien, kriechen, tasten, probieren Schlüssel, die nicht passen. Die Kirchenglocken fangen zu läuten an, Raketen steigen auf, Monika eilt zur Resopalplatte, klappt den Patentverschluß für angebrochene Flaschen auf, füllt zwei Gläser, will mit der Mutti anstoßen und bekommt eine Ohrfeige, daß sie heulend aus dem Zimmer läuft.
    Durch doppelte Scheiben getrennt, starren er und Hilde einander an, lesen in den Augen des andern, was sie selbst nicht wahrhaben wollen: daß es ein schlechtes Omen ist, ein schlechter Anfang. Hilde lächelt beschwichtigend, stößt mit dem Glas gegen das Fenster, er erwidert mit der Zange und ihre Lippen formen sich zum >Prost Neujahr<.
    Hilde holt das heulende Kind zurück, weiter geht die Suche nach dem Schlüssel. Abermals setzt es Hiebe. Auch er hat ein Ventil, fällt ihm ein, er faßt in die Tasche, um den illegalen Seinen eins zu ballern, tastet sämtliche Taschen der Hobbyjoppe ab, bis er sie sieht: drinnen auf der Resopalplatte liegen die Streichhölzer.
    Die Kirchenglocken sind verstummt, nur noch vereinzelt steigen Raketen auf, da findet Hilde den Schlüssel. Im Papierkorb. Monika gesteht und muß auf ihr Zimmer. Schaumwein schäumt übers Resopal. Unter dem Heulen des Kindes dreht Hilde die Zeit zurück.
    »Prost Neujahr! Prost Neujahr! Alles Liebe und Gute und gebe Gott, daß alles
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