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Ich liebe mich

Ich liebe mich

Titel: Ich liebe mich
Autoren: Oliver Hassencamp
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wird dir gefallen.«
    »Und die Schwiegerleute?«
    »Ich hoffe, sie werden uns gefallen.«
    Besorgnis nach einer Pause.
    »Wissen sie Bescheid?«
    Seine Frau zieht die Schultern hoch.
    »Wenn Detlef nichts gesagt hat... Noch ist Steffi nichts anzusehen.«
    Draußen ist der Wagen vorgefahren. Kopf an Kopf schauen die Eltern der Braut hinaus. Alois öffnet die Türen.
    Ein strammes Bein, in festen Schuhen, ein Filzhut, Schlangeniedertasche am Bügel von Puttenhändchen gehalten, hinter dem Wagen taucht ein untersetzter Mann auf, mausgrauer Hut, mausgraue Schuhe; zwei kurze Hälse recken sich, bringen vier Brillengläser auf die Hausfassade in Stellung, beiderseitiges Nicken, als sagten sie zueinander: In Ordnung! Griff des Untersetzten in die Tasche, Palaver, offenbar um die Frage, ob Alois ein Trinkgeld zu geben sei. Ein junger Mann winkt ab, stolzes Mutterlächeln unter dem Filzhut, Doppelgriff nach hinten, das Korsett herunterzuziehen.
    Hinter dem Fenster löst sich langsam, wie bei Augenzeugen eines Unfalls, die Starre. Nach fünfundzwanzig Ehejahren bedarf es nicht mehr vieler Worte.
    »Ach ja«, sagt er.
    Und seine Frau gefaßt-mütterlich:
    »Es wird schon alles gut werden.«
    Sie sehen einander an, er legt ihr die Hand auf die Schulter, sie gehen in den Wohnraum.
    Wie von einem Gesellschaftsfotografen gruppiert, sitzt das Brautelternpaar auf dem Sofa vor dem Kamin, vornehm-gelassen, gegenüber Anette mit den Mehlwürmern — ein Monolith von Familie.
    Dann ist es soweit. Die Augen schießen kalte Momentaufnahmen:
    Anklopfen am Pfosten der offenen Tür; fünf Zentimeter breiter Nerzschnürsenkel über weißer Spitze; weitläufiger junger Mann, gleichsam Oberkellner, den Eltern seinen Arbeitsplatz im Grand Hotel zeigend; das Wort >Angenehm!<; Sätze mit Dialektanklang: »Eigentlich müssen wir schon >Du< sagen.« — »Nett haben Sie’s hier.« — »Dann bin ich so frei.« — Befühlen des Sofabezugs; große Krawattenklammer, Mattsilber gehämmert; tüchtige Hände; die Mehlwürmer sehen plötzlich wie Etonboys aus.
    Pausen, Pausen.
    Als gehöre sie seit Jahren zur Familie, bringt die zukünftige Schwiegertochter Anette das Gespräch in Gang, hält es in Gang, während Brautvater und zukünftiger Schwiegersohn durch den Garten spazieren. Der Brautvater kann sich nicht konzentrieren, redet.
    »Ich gebe Ihnen... gebe dir Stephanie nicht gern. Das geht wohl jedem Vater so.«
    Eltern seien da kein Maßstab, antwortet Pfeffges junior. Wenn’s nach den seinen gegangen wäre, hätte er ein Mädchen aus Mainz.
    »So, aus dem schönen Mainz!« hört der Vater der Braut sich sagen und merkt, daß er jetzt weiß, woher die Schwiegerleute kommen. Pfeffges junior fährt fort, erzählt von sich, seiner Ausbildung, seinen Ansichten, seinen Erlebnissen. Erzählt, äußert vernünftige Ansichten.
    »...dann hab ich zwei Jahre in Südostasien gearbeitet. Als ich zurückkam, hab ich nur gestaunt. Diese Mädchen hier! Meine Eltern haben mich altmodisch erzogen. Dafür bin ich ihnen dankbar. Für mich kam nur ein anständiges Mädchen in Frage. Ich weiß, was du jetzt sagen willst... Aber wir hätten so oder so geheiratet. Dieses München ist ein gefährliches Pflaster! Zum Glück ist Steffi anders...«
    Das Schweigen des Brautvaters nimmt sich aus wie die Folge überzeugender Rhetorik. Erst abends auf der Bettkante, als Hildes Stimme durch die Leitung zu ihm schlüpft, von drunten der Lärm des Polterabends heraufdringt, hat er Ruhe, seine Eindrücke zu ordnen, indem er sie ausspricht. Auch Hilde muß reden, hat einen Feiertag mit Kind hinter sich, sucht Bestätigung, Zuspruch, läßt ihn auf seinen Eindrücken sitzen.
    Er hört sich vernünftig antworten.
    »Gewiß gefallen mir deine Geschenke, Hildchen. Ich habe sie absichtlich nicht mitgenommen. Was soll ich hier mit Hüttenschuhen? Nein, das ist kein Vorwurf. Sei vernünftig, ich hab’s schwer genug. Du auch, ich weiß. Wer kann schon, wie er will? Aber sei beruhigt, durch die Schwiegerleute ist es gar nicht familiär. Selbstverständlich vermisse ich dich. Das mußt du doch fühlen! Bald wird alles gut, bestimmt, ich versprech’s dir...«
    Die ganze Nacht hatte es geregnet. Am Morgen überraschte München mit stahlblauem Föhn, der die Perspektive verkürzt, daß die Mainzer in ihrem Hotel denken mochten, die Zugspitze erhebe sich unmittelbar hinter dem Starnberger See.
    Im Hause der Braut dickt sich die Familiensolidarität zum Sirup ein. Man erinnert einander an
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